Tonlos. Weich. Flexibel. In einer
unvorhersehbaren Form landend. Gerade. Als Bogen. Als Schnörkel.
Leise und überraschend. Ein Nichts an Bedeutung das alles
beinhaltet. "Wie ein Faden fällt“ nennt die Textilkünstlerin
Rosa Dames ihr Werk aus dem Jahr 2011. Minimalistisch, graphisch
bezaubernd, ein "Apercu" - ein Assoziationsblitz – so liebevoll
und akribisch festgehalten. Ungeordnetes in Ordnung, in die Reihe
gebracht. Damit die Botschaft vom Zufall, von der Kostbarkeit des
Details lesbar wird.
"Anlässlich der 5.Europäischen
Quilt-Triennale 2012 wird der von der Unternehmensgruppe Betty
Barclay erneut ausgelobte Doris Winter Gedächtnis-Preis für
Innovation im Bereich Material, Technik und Entwurf in Höhe von €
5.000,- der deutschen Künstlerin Rosa Dames - bei der früheren
deutschen Quilt-Biennale bereits mehrmals vertreten – für ihre
Arbeit „Wie ein Faden fällt“ zuerkannt." (Pressetext)
Das kam leise und überraschend,
passend zu Rosa Dames, die sich natürlich sehr darüber freut. Seit
30 Jahren ist ihre leise, beharrliche Stimme in der deutschen
Textilkunst nicht zu überhören. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf
Details, die uns auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen. Doch
in ihren Werken erfahren sie eine Interpretation, deren Fürsorge und
Fragestellung berührt. Metaphorisch wirken diese, durch entdeckte
oder provozierte Zufälle und Gestaltungskonzepte geschaffenen
Textilbilder. In der Handarbeit, im Nähen von Stichen, führt Rosa
Dames ein Zwiegespräch mit dem entstehend Werk.
Ganz am Anfang, 1984 entsteht "Elses
Nachtlied". Auf einem schwarzen Wollstoff geht Rosa Dames hin und
her und dokumentiert ihren eigenen Bewegungsablauf wie die
märchenhaften Geschwister Hänsel und Gretel mit Kieselsteinen und
Brotkrumen im dunklen Wald. Sie lässt ein gefundenes, besticktes
Satin- und andere Bänder Spuren legen. Ariadne's Faden kommt uns in
den Sinn, wenn wir den Spuren des entstandenen Linienlabyrinthes
folgen. Wege durch einen nächtliche Stadt, über helle Plätze und
dunkle Strassen. "Ach Else, sing mir ein Lied" - Singen vertreibt
die Angst in der Dunkelheit, auf unbekannten Wegen.
In der "Glienicker Verlobung" von
1985 inspirieren die grünen Teile des Verlobungskleides von Rosa
Dames den Titel, dessen romantischer Bezug den Betrachter erstmal in
die Irre führt. Die geblümten Stoffe wird er ohne Vorkenntnisse
immer zuerst als Verlobungskleid interpretieren. Das schwebende
Tüchlein, in das vielleicht erste Tränen der Rührung verdrückt
wurden, und all die anderen chaotisch zueinander stehenden Flächen,
die das Chaos der Gefühle symbolisieren könnten.
Das alles wird mit präsisen,
strukturbildenden Steppstichen zusammengehalten. Eine Form ist nicht
auszumachen. Doch die feine Näharbeit in diesem Werk erscheint mir
synonym mit dem so genannten "weiblichen Hausfleiss". Das formale - gefühlsmässige - Chaos wird von der feinen Handarbeit
gebändigt, so wie die bürgerlichen Spielregeln das Verloben und
Verheiraten dem unstrukturierten "verliebt sein" bannen und in
konforme Bahnen lenken.
Idee und Konzept des klassischen,
nordamerikanische Patchworkquilts schwappte in den frühen achtziger
Jahren als neueste Handarbeitsmode über den Atlantik und wurde für
viele Textilkünstlerinnen Ausgangspunkt zur Entdeckung der eigenen
Kreativität.
Rosa Dames wurde Teil und Ausnahme
dieser Bewegung. Im Patchwork interessieren sie vor allem Prinzipien
der Reihung und ihrer Verschiebungen, Unordnung innerhalb von
Ordnung, Ruhe und Bewegung. Ihr Hauptwerk in diesem Zusammenhang
wurde von den vielen Bauarbeiten zur Vorbereitung des 750sten
Stadtjubiläum von Berlin, und die damit verbundene Allgegenwart von
rot-weissen Absperrungen, Baken und Flatterband inspiriert. Sie nennt
sie „B-749 hebt ab“ (1986) und "Mobile Reihen" (1987).
Konzentriert auf Rot und Weiss spürt die Künstlerin den graphischen
Bewegungen unregelmäßiger Rechtecke bzw. Rauten nach. Neben der
technischen Meisterschaft in der Ausführung fasziniert die
Lebendigkeit der Flächen: Bewegtes Raster oder Klötzertürme,
flächig oder in die Tiefe gestaffelt, schwebend oder wachsend, kurz
vor dem Einsturz oder wie von einer Explosion versprengt. Jeder Blick
offenbart Neuigkeiten, nichts bleibt wie es ist. Reduziert auf
minimale formale Mittel, völlig konzentriert auf die Umsetzung der
Idee, entstanden hier wirkliche Meisterwerke.
Ihre jüngste Arbeit "Exerzitium der
Stiche"- seit 2010 - knüpft an diesen methodischen Minimalismus
an. Bisher entstanden 63 Farbfelder (work in progress) für die Rosa
Dames auf 20 x 20 cm große Leinenquadrate überwendliche Stiche aus
farbiger Knopflochseide aneinanderreiht. Jedes Quadrat entsteht in
neuer Farb- und Flächenaufteilung. In immer neuen Zusammenstellungen
können diese Teile zu einem vibrierenden Farbfeld zusammengelegt
werden. Anlässlich einer gemeinsamen Päsentation mit der
österreicherischen Dichterin Veronika Seiringer in Helfenberg
entstand eine schönes Buch das Gedichte und die Abbildungen der
genähten Farbfelder zusammen führt. Rosa Dames beschreibt dort die
bewegende Geschichte zu dieser Arbeit, die sie zur Erinnerung an ihre
eigene Lehrzeit „und das geduldige Einüben des sogenannten
überwendlichen Stiches“ verfolgt. Sie widmet sie als „Exerzitium
der Stiche“ den vielen Näherinnen und fleissigen Händen in den
Schneiderateliers der blühenden Berliner Modeindustrie der 50ger
Jahre und der „Berliner Nähseidenfabrik“ WERA.
Die Kraft der Arbeiten von Rosa Dames
liegt darin, dass sie eine sehr eigenständige und wirkungsvolle,
künstlerische Sprache gefunden hat, um das Phänomen der Bedeutung
des Kleinen für das große Ganze sichtbar zu machen. Natürlich
wissen wir, dass jeder Tropfen Wasser zählt wenn es darum geht das
große Meer zu betrachten. Jedes Blatt für einen Baum, jedes
Sandkorn für die Wüste, jeder Stein für ein Haus. Das sind ja
Allgemeinplätze. Doch bei Rosa Dames sind es eben keine
Allgemeinplätze. Sie schöpft aus ihrem textilen Hintergrund und
erkennt dort den Kontext von Materialästhetik und Bedeutung. Ihre
Konzepte vermitteln einen Zusammenhang zwischen Zufall und Struktur,
der uns überhaupt erst erkennen lässt "wie ein Faden fällt".
© Schnuppe von Gwinner, Mai/Juli 2012 als Katalogbeitrag für ein Werkverzeichnis von Rosa Dames (erhältlich über die Künstlerin) und in der gekürzten Fassung erschienen in der Zeitschrift Kunsthandwerk & Design 5/2012
Der Katalog "Elses Nachtlied" mit diesem Text sowie schönen Abbildungen von Quilts und Materialbildern der Künstlerin Rosa Dames erschien im Juli 2013
- erhältlich über rosa.dames (at) gmx.de
- erhältlich über rosa.dames (at) gmx.de
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