Dienstag, 2. Juli 2013

Wie ein Faden fällt - Rosa Dames

-->
Tonlos. Weich. Flexibel. In einer unvorhersehbaren Form landend. Gerade. Als Bogen. Als Schnörkel. Leise und überraschend. Ein Nichts an Bedeutung das alles beinhaltet. "Wie ein Faden fällt“ nennt die Textilkünstlerin Rosa Dames ihr Werk aus dem Jahr 2011. Minimalistisch, graphisch bezaubernd, ein "Apercu" - ein Assoziationsblitz – so liebevoll und akribisch festgehalten. Ungeordnetes in Ordnung, in die Reihe gebracht. Damit die Botschaft vom Zufall, von der Kostbarkeit des Details lesbar wird.

"Anlässlich der 5.Europäischen Quilt-Triennale 2012 wird der von der Unternehmensgruppe Betty Barclay erneut ausgelobte Doris Winter Gedächtnis-Preis für Innovation im Bereich Material, Technik und Entwurf in Höhe von € 5.000,- der deutschen Künstlerin Rosa Dames - bei der früheren deutschen Quilt-Biennale bereits mehrmals vertreten – für ihre Arbeit „Wie ein Faden fällt“ zuerkannt." (Pressetext)

Das kam leise und überraschend, passend zu Rosa Dames, die sich natürlich sehr darüber freut. Seit 30 Jahren ist ihre leise, beharrliche Stimme in der deutschen Textilkunst nicht zu überhören. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf Details, die uns auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen. Doch in ihren Werken erfahren sie eine Interpretation, deren Fürsorge und Fragestellung berührt. Metaphorisch wirken diese, durch entdeckte oder provozierte Zufälle und Gestaltungskonzepte geschaffenen Textilbilder. In der Handarbeit, im Nähen von Stichen, führt Rosa Dames ein Zwiegespräch mit dem entstehend Werk.

Ganz am Anfang, 1984 entsteht "Elses Nachtlied". Auf einem schwarzen Wollstoff geht Rosa Dames hin und her und dokumentiert ihren eigenen Bewegungsablauf wie die märchenhaften Geschwister Hänsel und Gretel mit Kieselsteinen und Brotkrumen im dunklen Wald. Sie lässt ein gefundenes, besticktes Satin- und andere Bänder Spuren legen. Ariadne's Faden kommt uns in den Sinn, wenn wir den Spuren des entstandenen Linienlabyrinthes folgen. Wege durch einen nächtliche Stadt, über helle Plätze und dunkle Strassen. "Ach Else, sing mir ein Lied" - Singen vertreibt die Angst in der Dunkelheit, auf unbekannten Wegen.

In der "Glienicker Verlobung" von 1985 inspirieren die grünen Teile des Verlobungskleides von Rosa Dames den Titel, dessen romantischer Bezug den Betrachter erstmal in die Irre führt. Die geblümten Stoffe wird er ohne Vorkenntnisse immer zuerst als Verlobungskleid interpretieren. Das schwebende Tüchlein, in das vielleicht erste Tränen der Rührung verdrückt wurden, und all die anderen chaotisch zueinander stehenden Flächen, die das Chaos der Gefühle symbolisieren könnten.
Das alles wird mit präsisen, strukturbildenden Steppstichen zusammengehalten. Eine Form ist nicht auszumachen. Doch die feine Näharbeit in diesem Werk erscheint mir synonym mit dem so genannten "weiblichen Hausfleiss". Das formale - gefühlsmässige - Chaos wird von der feinen Handarbeit gebändigt, so wie die bürgerlichen Spielregeln das Verloben und Verheiraten dem unstrukturierten "verliebt sein" bannen und in konforme Bahnen lenken.

Idee und Konzept des klassischen, nordamerikanische Patchworkquilts schwappte in den frühen achtziger Jahren als neueste Handarbeitsmode über den Atlantik und wurde für viele Textilkünstlerinnen Ausgangspunkt zur Entdeckung der eigenen Kreativität.

Rosa Dames wurde Teil und Ausnahme dieser Bewegung. Im Patchwork interessieren sie vor allem Prinzipien der Reihung und ihrer Verschiebungen, Unordnung innerhalb von Ordnung, Ruhe und Bewegung. Ihr Hauptwerk in diesem Zusammenhang wurde von den vielen Bauarbeiten zur Vorbereitung des 750sten Stadtjubiläum von Berlin, und die damit verbundene Allgegenwart von rot-weissen Absperrungen, Baken und Flatterband inspiriert. Sie nennt sie „B-749 hebt ab“ (1986) und "Mobile Reihen" (1987). Konzentriert auf Rot und Weiss spürt die Künstlerin den graphischen Bewegungen unregelmäßiger Rechtecke bzw. Rauten nach. Neben der technischen Meisterschaft in der Ausführung fasziniert die Lebendigkeit der Flächen: Bewegtes Raster oder Klötzertürme, flächig oder in die Tiefe gestaffelt, schwebend oder wachsend, kurz vor dem Einsturz oder wie von einer Explosion versprengt. Jeder Blick offenbart Neuigkeiten, nichts bleibt wie es ist. Reduziert auf minimale formale Mittel, völlig konzentriert auf die Umsetzung der Idee, entstanden hier wirkliche Meisterwerke.

Ihre jüngste Arbeit "Exerzitium der Stiche"- seit 2010 - knüpft an diesen methodischen Minimalismus an. Bisher entstanden 63 Farbfelder (work in progress) für die Rosa Dames auf 20 x 20 cm große Leinenquadrate überwendliche Stiche aus farbiger Knopflochseide aneinanderreiht. Jedes Quadrat entsteht in neuer Farb- und Flächenaufteilung. In immer neuen Zusammenstellungen können diese Teile zu einem vibrierenden Farbfeld zusammengelegt werden. Anlässlich einer gemeinsamen Päsentation mit der österreicherischen Dichterin Veronika Seiringer in Helfenberg entstand eine schönes Buch das Gedichte und die Abbildungen der genähten Farbfelder zusammen führt. Rosa Dames beschreibt dort die bewegende Geschichte zu dieser Arbeit, die sie zur Erinnerung an ihre eigene Lehrzeit „und das geduldige Einüben des sogenannten überwendlichen Stiches“ verfolgt. Sie widmet sie als „Exerzitium der Stiche“ den vielen Näherinnen und fleissigen Händen in den Schneiderateliers der blühenden Berliner Modeindustrie der 50ger Jahre und der „Berliner Nähseidenfabrik“ WERA.

Die Kraft der Arbeiten von Rosa Dames liegt darin, dass sie eine sehr eigenständige und wirkungsvolle, künstlerische Sprache gefunden hat, um das Phänomen der Bedeutung des Kleinen für das große Ganze sichtbar zu machen. Natürlich wissen wir, dass jeder Tropfen Wasser zählt wenn es darum geht das große Meer zu betrachten. Jedes Blatt für einen Baum, jedes Sandkorn für die Wüste, jeder Stein für ein Haus. Das sind ja Allgemeinplätze. Doch bei Rosa Dames sind es eben keine Allgemeinplätze. Sie schöpft aus ihrem textilen Hintergrund und erkennt dort den Kontext von Materialästhetik und Bedeutung. Ihre Konzepte vermitteln einen Zusammenhang zwischen Zufall und Struktur, der uns überhaupt erst erkennen lässt "wie ein Faden fällt".

© Schnuppe von Gwinner, Mai/Juli 2012 als Katalogbeitrag für ein Werkverzeichnis von Rosa Dames (erhältlich über die Künstlerin) und in der gekürzten Fassung erschienen in der Zeitschrift Kunsthandwerk & Design 5/2012

Der Katalog "Elses Nachtlied" mit diesem Text sowie schönen Abbildungen von Quilts und Materialbildern der Künstlerin Rosa Dames erschien im Juli 2013
 - erhältlich über rosa.dames (at) gmx.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen