Dienstag, 2. Juli 2013

The Toymaker - Robert Race

Robert Race ist der Typ, den sich jedes Kind von ganzem Herzen  zum Großvater wünschen würde. Ein stiller, freundlicher Mann, der kein Wort zu viel sagt und doch voller Überraschungen steckt. Aber er berichtet gerne aus seinem reichen Leben als "toymaker", als Spielzeugmacher, wie es auch in seinem Pass steht.  Sein Leben wechselt zwischen Phasen introvertierter Tüftelei und Kreation und Phasen intensiver Öffentlichkeit, in der ihm seine vielen Bewunderer mit intensiver Neugier und Emotionen begegnen. Beides geniesst er sichtlich, meistens mit einem veschmitzten Lächeln. Als ich ihn vor vielen Jahren kennen lernte verkörperte er für mich sofort das alte Sprichwort "stille Wasser sind tief". Er selbst würde sich nicht als humorvoll bezeichnen, eher als vergnügt und unbeschwert. Er liebt es Geschichten zu erzählen und mit schrägen Ideen zu verblüffen. Und er hofft natürlich, die Menschen mit ihrem Witz bezaubern.


Im engen Strassengewirr der englischen Kleinstadt Bradford on Avon steht das uralte, graue Steinhaus, das er seit Jahrzehnten mit seiner Frau Thalia bewohnt. Es steht dort schon viele hundert Jahre, nach aussen trutzig und wehrhaft. Doch das Innere offenbart sich als beredter Lebensraum seiner Bewohner. Die Wände des Wohnzimmers sind hinter Bücherregalen verborgen, in denen es sich nicht nur Bücher sondern auch jede Menge Spielzeug und kleine Kunstwerke gemütlich gemacht haben. Die Möbel, so berichtet Robert Race stolz, habe alle sein Vater entworfen. Nach dem Krieg. Für die ersten Prototypen wurden Anfang der 50er Jahre die notwendigen Metallteile aus alten Waffen recycelt. Der Einfluss des Designer-Vaters auf den Sohn kamjedoch erst spät zum tragen. Der Onkel hatte als Wissenschaftler mehr Einfluss auf den jungen Robert, der in seinem Arbeitsleben eine wissenschaftliche Karriere als Lehrer und Schulleiter machte.


Schon in den 80ger Jahren widmete sich Robert mehr und mehr seiner Spielzeug-leidenschaft. Er bereiste Mexiko, Japan, Indien und Indonesien. Dort faszinierten ihn die Spielzeugbauer die, oft an den Strassen sitzend, aus einfachsten Materialien und mit bescheidenen Mitteln faszinierende Spielzeuge herstellen. Die Entdeckung dieser Künstler begründete sein tiefes Interesse und, vor allem, seine Sammlung an Spielzeugen aus aller Welt, die ihresgleichen sucht. Robert stieg immer mehr in das Thema ein. Er baute erst "nur" kleine Objekte für die gut etablierte englische "Dollhouse" (Puppenhaus) Szene. Fast in jedem englischen Dorf gibt es einen Laden für Puppenstuben und Zubehör, die unter anderem auch von lokalen Bastlern beliefert werden, sodass man überall sehr individuelle Dinge für sein Puppenhaus finden kann. Das ganze Thema ist unter Sammlern in England bis heute extrem populär.

Doch Robert suchte nach mehr. Ihm entgingen auch nicht die Entwicklungen um das Cabaret Mechanical Theatre, das Ende der 80ger Jahre von Fallmouth in einen kleinen Showroom in Covent Garden nach London umzog. Es etablierte sich eine "Automata maker" Szene um Sue Jackson, Peter Markey und Paul Spooner, die eine immer größere Anhängerschaft und immer  mehr Automata maker für sich gewann. Robert Race sagt, dass er relativ spät etwas davon mitbekommen habe, doch das Thema "mechanisches Künstlerspielzeug" habe offenbar in der Luft gelegen. Ein Glück, denn so entstanden auch für ihn ideale Bedingungen seine Objekte auszustellen und zu verkaufen. Andererseits war er immer ein Aussenseiter dieser Szene, weil seine Spielobjekte so besonders und anders als die der anderen waren und sind. Die kleine Bewegung ist der Schlüssel zu seinen Arbeiten. Formal haben sie als Figuren und Objekte schon eine Ausstrahlung - doch erst die Bewegung erweckt sie zum Leben und vermittelt ihr einzigartiges Wesen.


Wenn man sagt, man fährt ans Meer, dann hofft man auf einen schönen Ferientag. Für Robert Race bedeutet ein Ausflug an den Strand harte Arbeit. Ein paar Mal im Jahr fährt er, vor allem wenn es gerade einen schönen Sturm gegeben hat, an die Küste und sammelt Material. Treibgut, Treibholz, Steine mit Loch und Muscheln, lauter Schätze, die er oft Kilometer weit über den Kieselstrand schleppen muss. Dieser Tag am Strand, so sagt er, ist gleichzeitig sehr inspirierend und körperlich anstrengend. Nichts wird dort festgelegt, alles ist offen. Erst wenn er seine Beute zuhause in das kleine Hinterhaus-Lager einräumt, sortiert er das Gefundene nach möglichen Optionen. Ein lange liegen gebliebenes Stück kann durch einen Neuzugang durchaus die Berufung zu einem Meisterwerk bekommen, ein anderes plötzlich in völlig neuem Zusammenhang gesehen werden. 

"Keep it simple" ist ein Leitspruch von Robert. Seine Werke leben mit dem Echo der voraus gegangenen Leben ihres Materials. Seine Wesen interpretieren angebotenen Formen neu und oftmals geradezu anrührend. An einem "Muttering Bird" ist genau genommen nicht viel dran, doch mit klappenderndem Schnabel erzählt er uns unendlich viel von der Welt. Und so geht es auch mit den anderen Wesen, den schwebenden und hüpfenden Vögeln, den nimmermüde kreisenden Insekten, den treu blickenden "ruminants", den Wiederkäuern, und den emsigen Kanuten und Indianern, die nicht müde werden Vögel, Kaninchen und Katzen in ihrer "hölzern' Wurzel" über imaginäre Wasser zu schippern. 

 
Robert kann es aber auch ironischer, wenn er ein "rowing couple" (ruderndes Paar) in einem Boot gegeneinander antreten lässt. Fein beobachtet! Objekte wie "talking birds" oder " watching girls passing by" verraten, dass Robert keineswegs ein weltfremder Träumer ist. Er ist ein feiner Beobachter, der mit mit einer kleinen, simplen Bewegung zaubert. Wer je die Gesichter der Menschen beobachten durfte, die sich seinen Figuren nähern wird verstehen: dieses Lächeln und Erstaunen beinhaltet auch immer ein Erkennen. So einfach ist das! Der "balancing bird" schwebt an einer gebogenen Fahrradspeiche um seinen zerklüfteten Treibholzfelsen: eine kleine Brise, ein Pusten, ein Luftzug setzt ihn - und unsere Emotionen - in Bewegung. Eine kleine Holzkurbel oder ein Pendel - mehr braucht Robert Race nicht um aus einem Stöckchen, zwei Federn, einem Stück Draht, und vielleicht einer kleinen Muschel, ein ganzes Universum an Assoziationen und Gefühlen entstehen zu lassen und uns damit in seinen Bann zu ziehen.


Als seine Kinder aus dem Haus waren baute er die "Seaside Machine" – ein sensationelles Ungetüm, das von den Badewagen inspiriert wurde, wie sie vor über hundert Jahren an den Meeresstränden üblich waren. Also ist es völlig klar, dass man in der „Seaside Machine“ eine gut sortierte Bibliothek leichter Ferienliteratur und Liegestühle findet, aber auch Musik und ein Puppentheater, verschiedene Windspiele, kleine Schübe und Vitrinen für die Fundstücke die man ja immer am Strand findet – und jede Menge kleiner und erstaunlicher Überraschungen. Diese Donnerwetter-Maschine brauchte einen Platz und so gab die Familie Race kurzerhand ihr Esszimmer auf und ließ sie dort einziehen. Auch der größte Teil der Spielzeug-Sammlung hat dort in respeteinflössenden Archivschränken eine Heimat gefunden. Nur wenn die Großfamilie zusammen kommt muss die Maschine im Garten stehen – sonst wird in der Küche gegessen.
Überall im Haus stehen und hängen Spiel- und Spassobjekte, die man beim Zähne putzen ebenso bewundern kann wie vor dem einschlafen, auch wenn man sich da eher auf die Schäfchenzählmaschine über dem Gästebett konzentrieren muss.

Über all dem schwebt ganz oben unter dem Dach das Himmelreich von Rober Race: seine Werkstatt und Sachensammlung. Hier oben, mit einem weiten Blick über die alte kleine Stadt, spinnt Robert seine Geschichten und überträgt sie in zauberhafte Objekte. Mit grenzenloser Fantasie und viel Geduld entwickelt er dort die Szenerien, Figuren und Wesen, die durch einen kleinen Stups, einen subtilen Dreh oder leises Pusten für einen kurzen magischen Moment zum Leben erwachen und uns glauben machen wollen, dass echtes Leben in ihnen steckt.

© Schnuppe von Gwinner 2012 - veröffentlicht in der Zeitschrift Handmade Kultur 1/2013 Januar - März 2013

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