Freitag, 3. Mai 2013

Global statt lokal

Ein Interview mit Dr. Claudia Banz im Vorfeld der Messe Kunst und Handwerk im Museum für Kunst & Gewerbe, Hamburg 2011


Seit April 2011 leitet Dr. Claudia Banz, Nachfolgerin von Dr. Rüdiger Joppien, der nahezu 25 Jahre Kurator war, die Abteilung Kunst und Design vom Biedermeier bis zur Gegenwart am Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg. Mit diesem Amt übernimmt sie auch die Verantwortung für die ebenso traditionsreiche wie renommierte MKG Messe Kunst und Handwerk – das allwinterliche Highlight unter den deutschen Messen angewandter Kunst.

Claudia Banz, geboren 1966, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Klassische Archäologie in Heidelberg und Berlin und promovierte 1996 an der FU Berlin mit einer Arbeit über das höfische Mäzenatentum der Habsburger. Als freie Kuratorin zahlreicher internationaler Ausstellungsprojekte und als Autorin hat sie sich auch immer wieder mit dem Themenfeld „Design – Kunst – Handwerk“ auseinandergesetzt, u.a. .in der von ihr kuratierten Ausstellung „Unresolved Matters. Social Utopias Revisited“ im Rahmen der „Utrecht Manifest Biennal for Social Design“ 2009. Im März 2011 erschien der von ihr herausgegebene Band „Social Design“ in der Reihe des Kunstforum International (Band 207) in dem sie den reformerischen und sozialutopischen Aspekten von Kunsthandwerk und Design in ihrer historischen und zukunftsweisenden Dimensionen nachspürt.

In einem Gespräch mit Schnuppe von Gwinner beschreibt sie ihre Pläne und Visionen für die Messe Kunst und Handwerk am Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg.
Gleich zu Beginn betont Claudia Banz, dass ein Museum kein kommerzieller Veranstalter sei, sondern einer kulturpolitischen Agenda verpflichtet ist, in der sie auch die Veranstaltung der Messe Kunst und Handwerk verankert sehen möchte.

Schnuppe von Gwinner:
„Das zentrale Thema der Messe besteht bisher darin zeitgenössische Handwerkskunst zu fördern, die alte Techniken lebendig hält und gleichzeitig Impulsgeber für neue Traditionen ist. Hier geht es um Kulturtechniken – neueste Gestaltungsentwicklungen treten in Dialog mit Bewährtem, Experiment trifft auf Kontinuität. Die Messe schafft seit Jahrzehnten die Voraussetzung, dass kreative Lebensläufe des stetigen Wachsens, Profilierens und Perfektionierens, in heutiger Zeit überhaupt noch möglich sind. Dem Forum dieser Messe verdanken viele Handwerksdesigner respektable Karrieren, die heute, da man sich wieder auf Qualität und Originalität besinnt, ihren ganz besonderen Wert haben. Ihr Erfolg gründet sich nachhaltig auf jene Optionen, die die Jahresmesse als Ort der Präsentation und des Dialoges bietet.
Es geht um die Frage der individuellen Wertschätzung von Dingen und Leistungen, die nicht nur ökonomisch, sondern im Besonderen ideel begründet sind. Und für die ist nun einmal diese Messe der Schutz- und Wirtschaftsraum, in dem so etwas gedeihen kann. Es gibt keinen anderen Ort dafür.“

Claudia Banz:
„Ich gebe ihnen völlig Recht. Kulturtechniken und Tradition sind wichtige Themen, für die die Messe Raum bieten muss, umso mehr, da sie von einem Museum initiiert wird. Für uns Museumsleute geht es ja auch darum Kulturtechniken zu bewahren. Aber gleichzeitig müssen wir natürlich immer auch einen kritischen Blick auf die Gegenwart werfen, auf die aktuellen, innovativen Entwicklungen und diese dem Publikum vorstellen.
Entscheidend ist letztlich die Qualität dieser Selektion, auf die wir gerade bei einer Museumsmesse besonders achten müssen.“

Schnuppe von Gwinner:
„Das Niveau der Hamburger Messe ist unvergleichlich.“

Claudia Banz:
„Daran soll sich auch in Zukunft überhaupt nichts ändern. Im Gegenteil: Wir möchten die Messe noch wertiger und attraktiver gestalten und das Programm dementsprechend erweitern. Hochschulen aus dem In- und Ausland sollen zukünftig eine feste Größe werden und ebenso Autorendesign.. Design ist ein so vielschichtiges Phänomen. Vor allem in Deutschland verbindet sich der Begriff Design sehr stark mit reformerischen und mit sozialutopischen Idealen. Dieser Anspruch hallt beispielsweise auch noch in der „Guten Form“ wider. Außerdem arbeiten Designer auch mit handwerklichen Techniken, bloß nennen sie sich eben nicht Kunsthandwerker. Der Begriff des Design ist insgesamt ein sehr unscharfer.

Schnuppe von Gwinner:
„Der Begriff Kunsthandwerk auch. Die ganze Debatte um die Begrifflichkeiten ist schwammig. Letztlich möchten alle teilhaben an dem Hype des Handgemachten, der Individualität, Qualität und Besonderheit. Doch die Wenigsten schaffen es, sie authentisch herzustellen und sie tiefer zu gründen als einen Marketing-Gag. Ich meine, dass diejenigen, die aktuell auf der Messe stehen, dies schaffen. Auch viel andere, auch gute Designer, schaffen das. Aber ich vermute, dass 'Otto Normalverbraucher' dies nicht differenziert unterscheidet.“

Claudia Banz:
„Ja, dem ist es sicher auch egal ob etwas unter Kunsthandwerk oder Design firmiert. Dieser ganze konzeptuelle Diskurs bewegt mehr die Fachleute. Allerdings lässt sich meiner Meinung nach ein starker Trend ausmachen, hin zum Unikat, zum handgefertigten, im Idealfall – und wenn der Geldbeutel es zulässt – zum individuell maßangefertigten Objekt. Das ist eine sehr interessante Entwicklung, die auch ihren gesellschaftlichen Hintergrund hat. Nach Massenproduktion und dem 'toten Objekt' möchte man wieder das beseelte, von Hand gefertigte Objekt haben. Zu diesen soziokulturellen Prozessen können wir als Museum durch eine bestimmte Profilierung der Messe durchaus ein Statement liefern und sollten dies auch tun. Darin sehe ich nicht nur unsere Aufgabe, sondern auch eine unserer Kompetenzen. In diesem Sinn wünsche ich mir die Messe zukünftig noch mehr ausgerichtet auf Fragen wie: 'Welche zeitgenössischen Strömungen und Entwicklungen in den angewandten Künsten sind wirklich tragfähig und sollten von uns als Haus rezipiert werden?'
Genauso wie vor hundert Jahren Justus Brinckmann sehr weitsichtig damit begonnen hat, Jugendstil zu sammeln. Nicht nur auf Museumsebene wurde der Jugendstil anfänglich überhaupt nicht goutiert. Aber Brinckmann erkannte seine Bedeutung und Relevanz und kaufte kräftig auf den Weltausstellungen ein. Gegen Kritik muss man sich auch durchsetzen.“

Schnuppe von Gwinner:
„Doch der Jugendstil war ein klarer Trend. Was aber sind heute die Trends? Auch die sind unscharf geworden. Präzise aus Trends heraus entstandene Moden haben längst nicht mehr die Verbindlichkeit wie noch vor wenigen Jahrzehnten.“

Claudia Banz:
„Als einen gegenwärtigen Trend sehe ich die Rückkehr zum schlichten Luxus – übrigens ein historisch betrachtet absolut spannendes Phänomen, dessen Wiederholung sich bei der Betrachtung der vergangenen der Jahrhunderte beobachten lässt. Dem überbordenden Rokoko folgten Klassizismus und Biedermeier, den rückwärts gewandten Ornamentexplosionen des Historismus folgte der Jugendstil und die Hinwendung zur rationellen Gestaltung, die schließlich im Bauhaus mündete; die verspielt, kitschige Postmoderne richtete sich gegen den Funktionalismus und jetzt: befinden wir uns bereits in der Postpostmoderne und das neue alte Credo heißt wieder Reduktion, schlichte Eleganz und Einfachheit! Aber das ist nur ein, wenn auch dominierender Trend. Auch Nachhaltigkeit steht wieder einmal hoch im Kurs – das hatten wir bereits in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Schnuppe von Gwinner:
„Werden sie die Ausschreibungen für die Messe verändern?“

Claudia Banz:
„Darüber werden wir sicherlich nachdenken.
Bereits in diesem Jahr starten wir mit einer neuen Plattform für Hochschulen: den Auftakt machen die Klasse für Keramik- und Glasdesign von der Burg Giebichenstein aus Halle und die Schmuckklasse der Gerrit Rietveld Academie aus Amsterdam. Außerdem werden wir in diesem Jahr auch erstmals Autorendesign präsentieren.
Im Ausland passieren im Übrigen auch äußerst spannende Dinge, was das Thema Kunsthandwerk und Design anbelangt. Im Vergleich zu Deutschland wird dort der Diskurs auch weniger eng geführt. Die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Disziplinen erscheint mir weitaus größer. Deswegen möchte ich die Messe zukünftig auch stärker internationalisieren.
Zumal wir als Haus von unseren Sammlungen her auf die großen Weltreligionen und verschiedene Kulturkreise ausgelegt sind, und das sollte sich auch in der Messe widerspiegeln.“

Schnuppe von Gwinner:
„Bleibt es bei der Dauer der Veranstaltung?“

Claudia Banz:
„Die Kunsthandwerker befinden sich in der Zwickmühle, dass sie drei Wochen während der Messe nicht in ihrer Werkstatt sein können. Das ist sicher auch ein Thema, über das wir nachdenken werden.“

Schnuppe von Gwinner
„Der Justus Brinckmann Preis wird weiter vergeben?“

Claudia Banz:
„Selbstverständlich. Es geht doch schließlich um Qualität.. Die Verleihung eines Preises finde ich wichtig, denn er ist ja eine Auszeichnung und für die Teilnehmer eine Art Wertesiegel.
Bereits die Auswahl der Teilnehmer durch die Jury gleicht einem Statement. Wir sagen: Das sind die Leute, die wir in ihrer Arbeit schätzen, deren Ergebnisse wir in diesem Kontext von Kunsthandwerk und Design für herausragende Beispiele halten. Das ist ein Geben und Nehmen.“

Schnuppe von Gwinner:
„Es ist bedauerlich, dass dieser Preis, wie auch die vielen anderen Preise in diesem Bereich, nur einem Insiderkreis bekannt sind. Die zaghafte Kommunikation der Auszeichnungen dieser Art ermöglicht kaum, dass Geben und Nehmen fruchtbar wirken könnte. Wie steht es um die Öffentlichkeitsarbeit?“

Claudia Banz:
„Da sprechen sie einen wichtigen Punkt in diesem Kontext an. Wir arbeiten insgesamt an einer neuen Marketingstrategie für unser Museum, und im Konzert unserer gesamten Aktivitäten kommt der Messe nicht zuletzt auch wegen ihres Renommés ein ganz besonderer Stellenwert zu. Außerdem generieren wir durch die geplante Internationalisierung der Messe neue Multiplikatoren, und erreichen dadurch hoffentlich auch ein neues, internationaleres Publikum.

Schnuppe von Gwinner:
„Wird es Sonderschauen geben, um besondere Entwicklungen und Trends darzustellen?“

Claudia Banz:
„Ich bin für ein klares Format und für die Reduktion auf den wesentlichen Kern einer Messe.
Der Besucher, der zu uns ins Museum auf die Messe kommt möchte vermutlich nicht noch an einem speziellen Sonderprogramm partizipieren, zumal wir ja das ganze Jahr über Sonderausstellungen zeigen und außerdem gibt es ja auch noch die Dauerausstellung unserer Sammlungen. Wir wollen den Besucher auch nicht überfrachten. Weniger ist in diesem Fall sicher mehr.“

Schnuppe von Gwinner:
„Ich danke für das Gespräch.“

Das Gespräch wurde im September 2011 im Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg geführt und in Kunsthandwerk & Design  6 / 2011 veröffentlicht

Kunsthandwerk – the one and only

Der aktuelle Trend zur Individualisierung und Personalisierung von Produkten beinhaltet die Betonung und Neubewertung der Idee von Handwerk. Ein Objekt durch die „story behind“ als Autorenprodukt aufzuwerten ist eine Methode, die verantwortungsbewusste Kunsthandwerker seit Generationen wählen, um für die handwerkliche und gestalterische Qualität ihrer persönlichen Arbeit zu bürgen. Ihre Produkte entstehen aus einem ganzheitlichen Ansatz heraus, der Inhalt, Form und technische Umsetzung als gleichberechtigt erkennt.

Sinnliche Erfahrung ist essentiell für den Kunsthandwerker und beinhaltet materialbezogene Forschungen, Spontaneität und die Dynamik intuitiven Arbeitens. Gestaltung ist hier kein abstrakter Plan, sondern konkretes Machen. Es geht um das Erkennen der Offerten des Materials, das zugleich Partner und Widersacher ist, an dem man im Laufe der Zeit wächst. Der individuelle Stil wächst aus dem ebenso leidenschaftlichen wie versierten Umgang mit dem Material, das im doppelten Sinne Medium ist, um ein bestimmtes Gestaltungskonzept zu realisieren. "Der Kopf ist ohne Hand nichts", sagt der Silberschmied Wilfried Moll, "und die Hand ohne den Kopf auch nichts." Diese Erkenntnis gilt für alle gestaltenden Handwerker oder handwerklich Gestaltenden.

Jedes handgefertigte Stück wird die, wenn auch minimale, Variante seines Vorgängers sein - genau darin liegt der Charme des Handgemachten. Eine handwerklich hergestellte Kleinstserie wird sich immer wie eine gewachsene Familie zueinander verhalten und nicht wie identische Klone – die bleiben der industriellen Produktion vorbehalten. Und selbst diese Serien werden sich über die Zeit leicht verändern, weil ein Kunsthandwerker mehr daran interessiert ist, die Qualität seiner Ideen zu erproben anstatt sich selbst zu wiederholen. Das ist ehrlich, authentisch und von sehr individuellem Wert. Das Unikat, das einzelne Objekt in einer thematischen Reihe, das individuelle Einzelstück als Antwort auf eine bestimmte Situation oder Anforderung ist das Lieblingsstück des Kunsthandwerkers, der mit Leidenschaft und Einfühlsamkeit seiner idealen Form nachspürt.

Die „Eunique“ lädt zur aktiven Entdeckung der „story behind“ ein, mehr über individuelle Gestaltungskonzepte, Materialien und Techniken zu erfahren, einzigartige Unikate zu kaufen oder persönliche Lieblingsstücke zu beauftragen.

© Schnuppe von Gwinner, April 2011 
veröffentlicht im Bulletin 4 der Eunique, Internationale Messe für Angewandte Kunst & Design in Karlsruhe

Kunsthandwerk on stage


Angewandte Kunst braucht engagierte Galeristen, Kuratoren und Galerien. Orte der Vermittlung, die gleichzeitig einen kulturell-didaktischen wie einen ökonomischen Auftrag erfüllen. Sie können gesponsert oder in privater Initiative geführt werden und Konzepten unterschiedlichster Orientierung folgen. Sie sorgen für die Öffentlichkeit, die ein Werk braucht, um wahrgenommen und bewertet zu werden.

In Deutschland gibt es vergleichsweise wenig Galerien, die sich auf angewandte Kunst spezialisiert haben. Im Einflussbereich der Handwerkskammern agieren überwiegend jene mit regionaler Orientierung, in Kooperation mit den jeweiligen Berufsverbänden.
Die Münchner Galerie Handwerk bildet eine Ausnahme, da sie vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft gefördert wird und sich damit in der Lage sieht, ein anspruchsvolles Programm zu realisieren, das international und inhaltlich breit aufgestellt ist und hohe Reputation geniesst. Das andere Extrem findet man z.B. in der Galerie der Handwerkskammer Hamburg, in der die AdK alle zwei Jahre eine selbst organisierte Schau ihrer Mitglieder präsentiert. Dazwischen gibt es viele Konzept-Varianten, deren Aktivitäten von den wirtschaftlichen Vorgaben der Betreiber abhängen. Ihre ökonomische Unverbindlichkeit erlaubt aber einen paritätischen Ansatz, der den Ausstellern besondere Chancen bietet.

Private Galeristen bekennen sich in der Regel zu einem klar definierten Konzept auf der Basis individueller Qualitätskriterien. Sie sind sehr fokussiert und arbeiten zumeist im Sinne eines klaren Galerieprofils, das für bestimmte Tendenzen, Stile und Namen steht. Der hedonistische Anspruch muss hier immer in gesunder Balance zu den ökonomischen Möglichkeiten gehalten werden. Der Charakter inhabergeführter Galerien ist von der gegenseitigen Verbindlichkeit zwischen Galerist und Künstler geprägt. Nur in Loyalität zueinander, und klarer Arbeitsteilung, bringt man es gemeinsam zum Erfolg. Indem der Galerist sich um das Image und das Marketing kümmert, arbeitet der Künstler an der Entwicklung seines Oeuvres: eine besonders glückliche Symbiose wenn beide dabei im angeregten Austausch bleiben.
Die Messe Eunique bietet die interessante Gelegenheit unterschiedliche deutsche Galerien für angewandte Kunst kennen zu lernen.


© Schnuppe von Gwinner, März 2011 
veröffentlicht im Bulletin 3 der Eunique, Internationale Messe für Angewandte Kunst & Design in Karlsruhe

Kunsthandwerk à la carte

Tradition und Innovation sind die tragenden Säulen des französischen Kunsthandwerks, dessen Selbstverständnis insbesondere den Aspekt der Kunst betont. „Ateliers d' Arts de France“ (AAF), offizielle französische Organisation und Partner der Eunique 2011, drückt dieses schon in ihrem Namen aus. Die Wertschätzung der angewandten Künste ist in Frankreich gesellschaftlicher und politischer Konsens, der sich aus der großartigen Kulturgeschichte des Landes erklärt. Sie dokumentiert sich in Architektur und Kunst und deren Symbiose mit der Meisterschaft des Kunsthandwerks.

Im Oktober 2009 überreichte die Forschungsgruppe „métiers d'arts“ Premierminister François Fillon einen Bericht mit dem Titel: „Die Handwerke der Kunst, der Exzellenz, des Luxus und des traditionellen „savoir faire“: die Zukunft in unseren Händen.“
Dort werden die angewandten Künste in die gleichberechtigten Bereiche traditioneller Handwerke, der Restaurierung und der Kreation eingeteilt. Im Februar 2010 erinnerte der Staatssekretär Novelli anlässlich der Gründung des „Institut National des Métiers d'Arts“ (INMA) daran, dass die Kunsthandwerke von mehr als 38.000 Unternehmen und nahezu 100.000 Menschen in Frankreich vertreten werden. Er bezeichnete sie als unentbehrlichen Sockel des immateriellen Erbes und als wichtigen Markt innerhalb der Ökonomie Frankreichs.

Mit diesem Selbstbewusstsein tritt das organisierte französische Kunsthandwerk an die Öffentlichkeit. Seine bewegte Vereinsgeschichte führte 1995 zur Gründung der Messe „Maison et Objet“, deren Mitinhaber „Ateliers d' Arts de France“ ist. Seither wird den Mitgliedern jede erdenkliche professionelle Unterstützung im Sinne eines idealen Berufsverbandes geboten. Diese glücklichen Umstände begründen letztlich auch die aktuelle Bedeutung, Akzeptanz und positive Entwicklung einer angewandten Kunst, unter denen die Kreateure sich vor allem auf das künstlerische Unikat und Kleinstserien spezialisieren. Sie werden die Eunique 2011 mit ihrer schöpferischen Fantasie bereichern.


© Schnuppe von Gwinner, Februar 2011 
veröffentlicht im Bulletin 2 der Eunique Internationale Messe für Angewandte Kunst & Design, Karslruhe

Der französische Verband für angewandte Kunst:

Kunsthandwerk – quo vadis?

Der Trend ist deutlich: die Ideale des Einzigartigen und Individuellen widersprechen zunehmend dem Massenhaften. Die Renaissance traditioneller Werte ist ein gesellschaftliches Phänomen. Die Sehnsucht nach kultureller und sozialer Identität, Orientierung und Glaubwürdigkeit ist allgegenwärtig. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Aufklärung und Kennerschaft durchdringt unser aller Lebenskultur. Bewusste Geniesser und mündige Konsumenten sind heute die Trendsetter.

In den USA, sowie in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern, ist diese Entwicklung schon länger zu beobachten. Den so genannten „creative industries“,
ihren Akteuren aus Architektur und Design, Buch- und Verlagswesen sowie Software, gilt dort seit einigen Jahren größte Aufmerksamkeit. Sie gelten als Vorreiter der Entwicklung neuer Strukturen für Arbeit und Märkte. Die UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung und die europäische Kommission vermuten in der Kreativökonomie das erfolgreichste Wirtschaftsfeld der kommenden Jahrzehnte. Sie wird auch in Zukunft von extrem flexiblen, toleranten und gut informierten Menschen getragen und gestaltet.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die allgemeine Wertschätzung des Handgemachten, des Handwerks, der individuellen Kreativität aktuell einen faszinierenden Aufschwung erlebt. Die Offerten von Manufakturen, Kunst, Handwerk und Design antworten dem Zeitgeist auf geradezu perfekte Weise. Kommunikation und Information sind hier schon immer unverzichtbarer Teil des Produktes. Hier bedeutet Konsumieren nicht nur kaufen, sondern auch etwas in Erfahrung bringen, Bescheid wissen oder gar mitbestimmen können. Nicht nur Geld, sondern auch Zeit zu investieren, um ein individuelles, sehr persönliches und authentisches Produkt zu erwerben .

Die Messe Eunique möchte in Deutschland eine Lücke schliessen, indem sie ein Forum für das gestaltende Handwerk von internationalem Niveau schafft. Mit den Highlights des zeitgenössischen europäischen Handwerksdesigns wirbt sie für das innovative Potential gestaltender Handwerkskultur. Sie ermöglicht Begegnung und Austausch mit den Protagonisten der angewandten Kunst, deren inhaltlichen wie gestalterischen Konzepte aktueller nicht sein könnten.

© Schnuppe von Gwinner, Dezember 2010
veröffentlicht im Bulletin 1 zur  EUNIQUE 2011 Internationale Messe für Angewandte Kunst & Design, Karlsruhe

Sonngard Marcks


Tänzerin wäre sie gerne geworden, sinniert Sonngard Marcks.

Wir kennen sie als die Schöpferin kostbarer keramischer Gefäße in einem traditionell anmutendem Look, mit dem ab und zu die Fantasie durchgegangen ist. Da schiebt sich die Tülle einer Teekanne wie ein Teleskop hinaus, der Griff einer Mokkatasse mündet in der prallen Frucht einer Kirsche und der Deckel einer Dose könnte sich jeden Moment zu einer Tulpenblüte entblättern. Doch das ist noch nicht alles. Diese formalen Eskapaden verbünden sich mit eigenwilliger Fayencemalerei die, ebenso poetisch wie naturgetreu, das in der Form Angelegte erst vervollkommnet. Ihre pittoresken und formal hin und wieder, im amüsanten Sinne, überkandidelten Dosen, Tassen, Teller, Vasen, Gefäße und Früchte aller Art sind stilistisch unverkennbar. Sie sind das Ergebnis einer äußerst zeitintensiven Beschäftigung und der intensiven Lust, möglichst viele künstlerische Ausdrucksmittel gleichzeitig in den Objekten sichtbar zu machen.



Ihre Vorbilder findet sie in der Natur und auf dem Marktstand einer Ökobäuerin, deren Kisten sie regelmässig nach den schönsten Früchten der Saison durchsucht. Besonders müssen diese sein, sich durch leichte Unvollkommenheiten, einen unorthodoxen Keim, eine kleine Faulstelle oder etwas Wurmfrass auszeichnen. Die präzisen Portraits ihrer Eroberungen interessieren sie, das Kostbare und Delikate mit dem sie ihre Wertschätzung gegenüber der Natur ausdrückt und den Betrachter damit auf Entdeckungstour schickt, ihn Aufmerksamkeit lehrt. Sicher auch Respekt. Vor den Geschenken der Natur und vor ihrer Kunst, diese eigenwillig in Szene zu setzen. Und nicht zuletzt rückt sie die alte, zauberhafte Fayence-Technik wieder in den Fokus.




Mit Umsicht und beherztem Schwung plant und realisiert sie ihre Werke. Am Anfang stehen die Gefässe aus rotem Ton, die sie selbst, das finale Ergebnis ahnend, dreht und modelliert. Varianten von Kannen und Tellern, mal klassische, mal skulpturale Formen, die sie später als Malfläche interessieren. Der grosse Teller entwickelt sich in dieser Hinsicht immer mehr zu ihrem Favorit. Nach einem ersten Brand werden die Gefässe in eine Glasur getaucht, deren geheimnisvolle Mischung aus Sand, Zinnoxid, Pottasche und Wasser den idealen Malgrund für die Keramiken ergibt. Es erfordert jedoch sehr viel Übung darauf zu malen, denn jeder Strich muss „sitzen“ da es keine rechte Korrekturmöglichkeit gibt. Der abschliessende Brand verschmilzt die Malerei mit dem Untergrund und verleiht der Fayence ihre charakteristische, strahlende Farbigkeit. Das stundenlange Malen ist, wie sie sagt, ihre liebste Beschäftigung. Konzentriert und ungestört ein Thema zu verfolgen, dem Motiv mehr als nur das Dekorative abverlangen und es in ideale Korrespondenz zur gewählten Form setzen.





Sonngard Marcks geniesst den Gegensatz und die Abwechslung, zwischen dem Raum greifenden Arbeiten an der Drehscheibe und in der Fläche, auf die sie im Anschluss malt. Die dialektische Beziehung zwischen den verschiedenen Arbeitsgebieten inspiriert sie sehr.
Als Ausgangspunkt dienen ihr Zeichnungen, Ideen, skurrile Geschichten und das Naturstudium, seit Jahrzehnten in Skizzenbüchern gesammelt. Fleissig und diszipliniert, wie sie selber sagt, „denn das muss sitzen wie eine Vokabel. Mit einer Linie Volumen erfassen und beschreiben, wie eine Pflanze `tickt´, welche Struktur und Sinnlichkeit sie ausmacht.“ Die Systematik von Blumen und Gewächsen, die Verwandtschaften natürlicher, gewachsener Formen sind subtil aber offensichtlich. Alles gibt es schon aber jeder muss seine Variante finden. Sonngard Marcks das Subtile, Feinsinnige. Ihre früheren Bücher beschreibt sie eher als Sammelsurium und freut sich, dass sie über die Jahre strukturierter geworden sind. „Heute ist mir viel klarer, was ich über die Zeichnung suche, wie ich etwas aufzeichne und entdecke. Es ist ein Prozess, eine Entwicklung in deren Verlauf sich die Wahrnehmung verändert – in den Skizzenbüchern und in den Objekten, chronologisch vom Zeichenhaften zum Naturalistischen.“

Gelernt, und zwischendurch auch mal wieder etwas „vergessen“, hat Sonngard Marcks ihre Kunst an der renommierten „Burg“. Von 1979 bis 1984 studierte sie dort, an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle, bei den renommierten Professoren Gertraud Möhwald und Martin Wetzel, sowie Heidi Manthey und Lothar Sell. Die Zeit und die Umstände ihrer Ausbildung, sowie die Beziehung zu ihren Lehrern, hat sie zutiefst geprägt. Es war eher der Zufall der ihr das Studium an der Burg ermöglichte, denn die Option eines künstlerischen Werdegangs schien ihr nicht in die Wiege gelegt. Es wurde zur Konfrontation mit einer faszinierenden neuen Welt. An der Oberschule erkannte man ihr zeichnerisches Talent, das in Vorbereitungskursen an der Burg gefördert wurde, zu der sie schliesslich die Aufnahmeprüfung bestand.
Die handwerklichen Grundlagen erwarb sie während einer Töpferlehre im thüringischen Bürgel. Als Achtzehnjährige begeisterte sie sich für die handwerkliche Arbeit, denn sie bedeutete, sich auf eine andere Art zu bewähren, nicht intellektuell wie in der Schule. Handwerk bedeutete erst einmal reine Technik, nicht über den Kopf sondern über die Hände. Ein Praktikum bei dem Glasurmeister Walter Gebauer beschreibt sie voller Enthusiasmus, denn sie habe dort jeden Tag wirklich etwas gelernt. Sie bestand ihre Gesellenprüfung mit der Note 1.


Ihre Lehrer beschreibt sie als menschliche und künstlerische Vorbilder. Diszipliniert aber auch ökonomisch unbeschwert durfte man behutsam wachsen. Die Burg war eine Oase weil sie vergleichsweise wenig ideologisch geprägt war. Grundlegende gestalterische Themen wurden ganze Semester lang erörtert. „Damals wurde immer alles erst einmal in Frage gestellt. Das Studium war auch quälend, ganz besonders das Naturstudium, das Proportionen lernen – ich weiss nicht wie man das schafft wenn man das nicht gelernt hat. Kriterien zu kapieren ist wichtig. Heute mag das altmodisch erscheinen, aber es ging darum heraus zu finden, was plastisch wichtig ist, nichts zu überfrachten und zu erkennen ob es stimmt!“





In die Technik der Fayence-Malerei wurde Sonngard Marcks an der Burg von Heidi Manthey eingewiesen. Die Fayence war zu der Zeit sehr besetzt und so entschied sie, nach dem Diplom 1984 aus Halle weg zu gehen um mehr für sich zu sein. Nach einigen Stationen und Phasen kam sie eigentlich erst im Jahr 2000 wieder von der Engoben- auf die Fayencemalerei zurück, angeregt durch eine Ausschreibung zu einer Fayence-Ausstellung, für die sie einen Zitronenteller machte.

Auch ein Projekt an der Porzellanmanufaktur Meissen suchte durch die Zusammenarbeit mit Künstlern neue Impulse. Da gab es wieder „weissen Grund“ , für sie der Auslöser zur Hinwendung zum Floralen, erst stilisierter und dann in immer präziseren, naturgetreuen Zeichnungen. Ihr Erfolg liess sich nun nicht mehr aufhalten. Die Liste Ihrer Auszeichnungen wuchs in den letzten Jahren zu eindrucksvoller Länge und beinhaltet auch den bayerischen Staatspreis sowie den Dießener Keramikpreis. Die Begeisterung einer wachsenden Anhängerschaft ist ungebrochen und ihre Objekte sind Teil vieler bedeutender Museums- und Privatsammlungen.



Sonngard Marcks liebt Themen: Ausstellungen, Aufträge, Anstösse greift sie dankbar auf und verfolgt sie mit grosser Ernsthaftigkeit, interpretiert sie in ihrer künstlerischen Sprache.Sie schenkt ihren keramischen Werken allen dekorativen, formalen wie malerischen Reichtum an Fantasie, den sie besitzt und deren Reservoir offensichtlich unerschöpflich ist. Ihre Energie, Zielstrebigkeit und Perfektion gleicht der einer Tänzerin, die auf den Punkt genau ihr Werk vollendet. Wir können uns glücklich schätzen, dass sie mit Drehscheibe und Pinsel für uns tanzt!So gerät die Hommage an eine schön knollige Kartoffel schon mal zur ausladenden Schale, für die unsere Bewunderung nicht schon mit dem Szenenapplaus enden muss.


© Schnuppe von Gwinner, Februar 2011 - publiziert in Kunsthandwerk&Design 2/2011


Sonngard Marcks stellt Ihre Arbeiten alljährlich auf dem idyllischen
Diessener Töpfermarkt und auf der Grassimesse in Leipzig aus.

Infos in Englisch 




Mehr davon:

von Schnuppe von Gwinner
Hardcover, 210 Seiten, ca. 60 Abbildungen
ISBN 978-3-00-035743-5
Edition craft2eu | http://craft2eu.net/de/book
22 Euro