Die aktuelle Dokumentation meiner Tätigkeit -
findet Ihr seid 2014 unter dem Link www.schnuppevongwinner.com
Originale - follow up
Kunst und Handwerk, Trends und Traditionen: eine Auswahl der seit 2011 publizierten Texte, Portraits und Interviews von Schnuppe von Gwinner
Freitag, 8. Dezember 2017
Dienstag, 2. Juli 2013
Hand Cut - Claire Brewster
Claire Brewster nutzt „das
metaphorische Talent“ des Kartenmaterials, um unsere Wahrnehmung
der Natur neu zu inspirieren. Sie schneidet Vögel, Bienen,
Schmetterlinge und Pflanzen aus ihm heraus, und zwar so realistisch
und detailgetreu, dass man meinen könnte, die Tiere wären lebendig.
Mit einfachen Stecknadeln werden sie an die Wand gepinnt, ganz
zaghaft, sodass zwischen Papier und Wand noch Platz bleibt. Auf diese
Weise verleiht Brewster ihren Wesen Dreidimensionalität, denn ihre
Schatten machen sie körperlich.
Ihre Silhouetten und anatomischen
Details werden sorgfältig von Hand aus den Karten herausgeschnitten.
Linien, Zeichen und Symbole, Konturen, Schriften, Breiten- und
Längengrade harmonieren reizvoll abstrahierend mit den natürlichen
Konturen der ausgeschnittenen Tiere. Claire Brewsters Geschöpfe
kennen keine Grenzen und Sackgassen; sie agieren unabhängig, fernab jeder menschlichen Ordnung.
Jedes von ihnen ist freier als wir selbst: Wir glauben nur, dass uns die Welt gehört, in Wahrheit aber
sind wir völlig machtlos! Das ist die versteckte Botschaft, die
Brewsters eindrucksvolle Kreationen in die Welt tragen.Auch der
Gedanke, den Dingen, die ihren ursprüngliche Zweck verloren haben,
einen neuen zuzuweisen, gefällt ihr. Heute sind digitale Wegweiser
per Satellit und Navi auf Knopfdruck verfügbar. Blind vertrauend
nehmen wir Umwege in Kauf und das erweiterte Umfeld kaum wahr. Claire
Brewster hingegen liebt die inspirierenden Überraschungen und Entdeckungen, die
ihr die herkömmlichen Kartenwerke bieten.
Schon als Kind sammelte Claire Karten
von allen Erdteilen: »Ich war fasziniert davon, um die Welt reisen
zu können, ohne mein Kinderzimmer dafür verlassen zu müssen.«
Noch heute studiert sie die Karten eingehend, aber nun aus einem
anderen Grund: Claire will herausfinden, welche Areale sich am besten
für die geplanten Silhouetten eignen. Auch die gute Papierqualität und die präzisen Drucke der alten
Karten beeindrucken die Künstlerin. Fündig wird sie im Internet, in den Antiquariaten und auf den vielen
Flohmärkten der britischen Hauptstadt.
Aufgewachsen ist Claire Brewster in der
ländlich geprägten Grafschaft Lincolnshire an der Ostküste. Zum
Studieren ging sie nach London. Sie schrieb sich an der Middlesex
University für Textiltechnik ein. Claire Brewster blieb und lebt
und arbeitet nun seit 25 Jahren in der britischen Metropole. Zu
Beginn ihrer Künstlerkarriere beschäftigte sie sich überwiegend
mit Collagen. 2002 wandte sie das erste Mal die „Paper Cut“-Technik
im Kontext einiger ihrer Collagen an. Zu diesem Zeitpunkt ahnte Claire noch
nicht, dass sich daraus eine für sie neue und originäre Methode
entwickeln wird.
Eine besondere Attraktion geht für
Claire Brewster auch von der handwerklichen – kontemplativen –
Arbeit des Papierschneidens aus. Der Prozess des Werkelnsund Machens
mit den eigenen Händen gefällt ihr außerordentlich gut. Er
beinhaltet die Möglichkeit, ursprünglich Geplantes zu verändern,
Fehler zu machen und darüber neue Wege zu finden. »Für mich
spielt es keine Rolle, wie lange ich für eine Arbeit brauche.
Natürlich könnte ich die Silhouetten auch von einer Maschine
ausstanzen lassen, doch ich genieße
es, ein Messer in die Hand zu nehmen und die Figuren aus dem Material
zu schneiden.«, so Claire. Eine Maschine zu nutzen bedeutete für
sie, eine Schranke zwischen sich und ihre Arbeit zu setzen. Sie
forciert es also nicht.
2012 experimentierte Claire erstmals
mit einem Digital Cutter. Er kann aus allen möglichen Materialien
jede beliebige Form schneiden. Natürlich auch ausLandkarten. Damit
der Cutter weiß, was er ausschneiden soll, müssen zunächst
mittels einer Software aus den eigenen Zeichnungen Vektorgraphiken
erstellt werden. Generell sind die Arbeitsabläufe sehr komplex und
Fehler darf man nicht machen. Inzwischen kann sich Claire aber
vorstellen, sich bestimmte Motive und Arbeiten von der Technik abnehmen zu
lassen. Die wachsende Nachfrage und der aktuell hohe Preis für ihre
handgeschnittenen Objekte sprechen dafür. Dennoch, ihre eigenen
Handzeichnungen maschinell geschnitten empfindet sie selbst als
neuartig und fremd.
Ihre thematischen Inspirationen bezieht
Claire Brewster zu gleichen Teilen aus einer intensiven
Naturbeobachtung, aufmerksamer Zeitungslektüre, ihrem Kartenarchiv
und der persönlichen Wahrnehmung ihres Umfeldes Zuhause und auf
Reisen. In den letztenJahren kamen auch immer mehr Aufträge dazu,
die eine bestimmte Orientierung nahe legten. „Am interessantestenfinde ich den Prozess des Filterns,
wenn Eindrücke verschmelzen und eine Inspriation zur Idee wird“, betont Claire. Für die
Ausstellung „Art of Mapping“ in der Air Gallery Maifair in London entstand 2011
die Arbeit „The Harbingers“ – eine Installation aus 60
Spatzensilhouetten, die sorgfältig aus geologischen Karten des
Vereinigten Königreichs geschnitten wurden. Spatzen werden eher als
aufdringlich und Plage wahrgenommen, obwohl ihre Population gerade
rapide abnimmt. Immer seltener sieht man die sprichwörtlich frechen
Spatzen, die sich lebhaft und vorlaut im Alltag behaupten und mutig
ihre Beute auch gegen größere Vögel verteidigen. „Ich wollte mit meiner
Installation diesen Vögeln mehr Wertschätzung entgegenbringen und
hoffe, damit auch bei meinen Mitmenschen etwas auszulösen“, so die
Mittvierzigerin.
„The Birds And The Bees“ war eine
Auftragsarbeit 2012 für ein Hotel in London, das zwischen dem
Victoria & Albert Museum und dem NaturhistorischenMuseum liegt.
Als Ausgangspunkt diente Claire ein Stoffdekor aus dem 18.
Jahrhundert, das Vögel und Insekten kombinierte und von Claire im
V&A entdeckt wurde. „Die Motive habe ich zunächst mit
Bleistift auf Transparentpapier übertragen und dann aus Vintage-
Karten von London ausgeschnitten.“, so Claire.
Ihre Installationen erregen viel
Aufmerksamkeit und Bewunderung, so wie auch ihr Beitrag zur
Ausstellung „Mind the Map“ des Londoner Transport Museums. Das
Material stellte dieses Mal das Museum zur Verfügung, darunter auch
U-Bahn Pläne aus dem Jahr 1987, in dem Claire nach London zog. Die
Künstlerin ließ Unkraut aus den Plänen wachsen. Es lugt dort
hervor, wo keiner hinschaut: in den Fugen von Mauerwerk und
Gehwegplatten. „From a time when everything seemed possible“
(„Aus einer Zeit,als alles noch möglich schien“) nennt Brewster
dieses Werk doppeldeutig.
Die jüngste Installation entstand
für eine Ausstellung der Manchester Art Gallery „The First Cut“,
die noch bis 2014 durch England tourt. Claire Brewster lässt dieses
Mal 60 Schmetterlinge frei. Bei den Faltern handelt es sich um Arten,
die vom Aussterben bedrohtsind. Claire hat sie alle intensiv
studiert, um ihre Physiognomie wirklich zu begreifen. Sie hat sie aus
einer orographischen Karte von Großbritannien (die Höhenstrukturen
wiedergibt) herausgeschnitten. In Manchesterz. B. umschwärmen sie
ein präraffaelitisches Gemälde. Claire Brewster Arbeiten
zirkulieren alle um ein
zentrales Thema: die Schönheit und
Freiheit der Naturim subtilen Kontrast zu den kreativen Versuchen der
Menschen, sich ihre Phänomene strukturiert und systematisch zu
erschliessen. Die Künstlerin macht den Menschen mit ihren Paper
Cuts ein Geschenk: einen Moment der Besinnung und Ruhe beim Anblick
ihrer Werke. Und sie appelliert an uns: Jede handwerkliche und wissenschaftliche Präzision können
nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es sind, die die Natur
respektieren sollten, nicht umgekehrt.
©
Schnuppe von Gwinner 2012 - veröffentlicht in der Zeitschrift
Handmade Kultur 2/2013 April - August 2013
Labels:
Claire Brewster,
Handmade Kultur,
London,
Manchester art Gallery,
Paper cut,
Scherenschnitt,
Schmetterlinge,
Vögel
Damen-Duo in Ton - Claydies
Wenn Karen Kjaeldgard-Larsen und Tine
Broksø den Tisch decken ist alles wie immer aber nichts ist wie es
war. Seit elf Jahren verblüffen sie im Teamwork all jene, die es
wagen über den Tassenrand hinaus zu schauen. Aus ihrer
Mädchenfreundschaft, die sie 1995 an der Danish Design School in
Kopenhagen schlossen, wurde die erfolgreiche Kooperation als "Claydies", deren Keramiken inzwischen längst internationale
Aufmerksamkeit wecken. Man kann ihre Objekte heute im MoMa Shop in
New York, aber auch in Japan und Korea kaufen.
Im Sommer 2011 lädt die neue
Direktorin des dänischen Designmuseums Trapholt die beiden "Claydies" zu einer Werkschau ein. Das Modell des
Ausstellungsraumes steht als Puppenstube im Kopenhagener Studio, wo
ich die beiden besuche.
Tine erklärt: "Wir haben ein
Ambiente aus lauter Kuben geschaffen, deren Proportionen denen von
Stuhl, Tisch und Schrank, also einer ganz allgemeinen
Zimmereinrichtung entsprechen. Unsere Dinge lassen sich ganz
selbstverständlich darin arrangieren, denn es sind alles
Alltagsdinge, Geschirr und Wohnaccessoires. Dazu passt das „Claydies“
Magazin, ein Katalog, der in seiner Themenstruktur einer Zeitschrift
entspricht. Das funktioniert perfekt, von den Modeseiten über die
Einrichtungsberatung, Rezepte und Gartentipps bis hin zum
Kreuzworträtsel!"
Bevor Karen und Tine im Jahr 2000 ihre
Company "Claydies" begründen, landet Karen noch einen tollen
Coup: Sie entwirft das Design ‚Mega’ für Royal Copenhagen,
dessen sensationeller Erfolg sie bis heute begeleitet. Als „Cladies“
sind sie zwei Individuen, die eine Keramikerin geworden sind. Ein
Organismus mit zwei Köpfen, zwei Arten von Kreativität, vier Armen
und vier Händen. Im Rückblick auf elf gemeinsame Jahre sind sie ein
wahres Dreamteam, das sich ohne Einschränkungen als
„wir“ begreift und agiert. Dem internen Diskurs über Ideen und
Inspirationen folgt die Umsetzung in Objekte, die verblüffend neu
gesehen und humorvoll sind, ohne dass ihre Funktionalität darunter
leiden würde.
„Wir planen nichts. Wir sind offen
für alles was kommt und arbeiten sehr intuitiv. Jede Idee oder
Anregung diskutieren wir so lange bis sie verworfen oder realisiert
wird. Es muss uns vor allem Spaß machen und wir müssen selbst
zutiefst überzeugt davon sein, dass unser Konzept stimmig ist. Wir
orientieren uns z.B. am Doppelsinn von Begriffen und Bezeichnungen,
die wir wörtlich nehmen und umsetzen.“ So entstand die genähte
Kaffeekanne mit Bechern in Anlehnung an das Wort „kitchenware“
oder Porzellangefäße in Knochenform als „bone china“ für ein
Restaurant.
„Auch traditionelle Designs schauen
wir uns genau an und interpretieren sie neu.“ Das 'blueclay'
Geschirr zeigt eine jahrhunderte alte, dänische Steinzeugtradition
in neuem Gewand ohne Material und Technik wesentlich zu verändern.
Der Ton stammt aus dänischer Erde und das Prinzip ineinander
verlaufender Engoben ist nicht nur aus der skandinavischen
Keramikhistorie wohl bekannt. ‚Psychdelic Record Player’
nennen sie ein Objekt aus Keramikplatte und Grammophon. Es lieferte
die Ursprungsidee zum ‚blueclay“ Geschirr, bei dem jedes Gefäß
sein individuelles, aus der Gießbewegung heraus entstandenes Muster
hat.
Im Rahmen einer legendär gewordenen
Modenschau in der Galerie Nørby in Kopenhagen, präsentieren Karen
und Tine Keramikschüsseln als modischen Kopfputz: schicke
Frisuren die auch als Spaghetti- oder Salatschalen bella figura
machen. "Das war der Moment in dem wir spürten, dass wir mit Spaß
und Unterhaltung als Teil des Produktes die Menschen wirklich
erreichen und mit einbeziehen können." Die amüsante Schau der
Keramikbobs und Fönfrisuren schaffte es bis ins High Museum of Art
nach Atlanta und eine Parade keramischer Fahrradhelme erregte erneut
Aufsehen in der dänischen Hauptstadt.
Seitdem wissen die "Claydies"
genau, dass Kommunikation die halbe Miete ist, auch wenn sie
behaupten, diese nicht bewusst zu planen. Es gelingt ihnen
dennoch so gut, weil die Kommunikation natürlicher Teil ihrer
gemeinsamen Produktentwicklung ist. Der gemeinsame Spaß überträgt
sich mühelos auf ihre Objekte. Andererseits mussten sie lernen, dass
die Dinge ihre Zeit brauchen bis auch der ökonomische der Erfolg
sich einstellt.
Bereits 2004 entstanden die berühmten "Grass" Vasen
für eine Ausstellung im Danish Design Centre in Kopenhagen. Sie
lenkten den Blick auf etwas völlig Nebensächliches. Normalerweise
stehen Blumen, gerne in üppiger Fülle, im Vordergrund. Mit "Grass"
hingegen kann man die Ästhetik einzelner Blüten besonders
hervorheben – die Chance für Mauerblümchen! Das kleine Produkt
wurde in die "Danish Crafts Collection" aufgenommen und auf der
Pariser Messe "Maison et Objet" von den Einkäufern des MoMa
Shops ins Herz geschlossen. So viel Ehre ließ nun die
Verantwortlichen der Firma Normann Copenhagen das Gras wachsen hören.
Seit 2005 besteht eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit den "Claydies", deren Produktideen sich dort nicht nur auf Keramik
beschränken. Zuletzt wurde der Teppich "Dahlia" ein großer
Erfolg.
Die Inszenierung keramischer
Projektideen fand in der Performance ‚Chambers of Horror’ einen
weiteren Höhepunkt. Zwölf identische Töpfe wurden erschossen:
Ermordet! "Wir wissen dass Keramik scheußlich sein kann, aber kann
sie auch regelrecht gruselig sein?" fragen sich die beiden mit
diesem Attentat. Auf ihre humorvolle und doppeldeutige Art stellen
sie die Beziehung zur traditionellen Ästhetik und dem generellen
Image von Kunsthandwerk her. Mit dem "Ceramic Manifesto – Dogma
02" gehen sie im Jahr 2007 diesen Weg weiter und schwören sich auf
drastische Spielregeln für die Herstellung ihrer ersten ‚True
Feelings’ Keramiken ein. Mit verbundenen Augen, ohne gegenseitige
Absprache und Kontrolle, formen sie Dinge des täglichen Gebrauchs.
Schief und krumm und blau glasiert wird dieses archaische Geschirr
2007 gemeinsam mit plakatgroßen Nacktfotos der „Claydies“ in
Aktion in der Liljevalchs Kunsthall, Stockholm ausgestellt. Die
Aufmerksamkeit ist ihnen damit sicher.
Doch das Risiko eines nur kurzlebigen
Sensationseffektes heben sie geschickt auf indem sie aus dem Geist
dieser Performance das Tafelgeschirr "True Feelings" entwickeln.
Von Hand geformtes Porzellan: Kannen, Tassen, Teller, Tortenplatte,
Zuckerdöschen, Vasen, Löffel und alles was man sonst für eine gut
ausgestattete Kaffeetafel braucht, präsentiert sich in delikatem
Elfenbeinweiß als ebenso funktionelle wie feine Inkarnation des
Handgemachten. Die romantische Tradition einer beschaulichen
Nachmittagszusammenkunft bei Kaffee und Kuchen verknüpft sich mit
dem Hintergedanken an die makellosen Körper der schöpferischen "Claydies" - mehr Geschichte hinter dem Produkt geht kaum.
Die „Claydies“ pflegen unbeirrt
ihre Unabhängigkeit und ihren speziellen Humor. „Bisher haben wir
uns niemals auf Kompromisse eingelassen, auch in der Zusammenarbeit
mit den Firmen nicht. Wir möchten das Handwerkliche weiter verfolgen
und gute Konzepte für unsere Unikate entwickeln. Da ist natürlich
das wachsende Interesse der Unternehmen, wie Normann Kopenhagen und
Kaehler Design, aber wir werden doch eher unsere Interessen
verfolgen. Es ist so viel Business und so viel fremde Arbeit darin
und wir möchten doch vor allem das tun was uns glücklich macht. Wir
möchten weiter nach Inspirationen suchen und diese in überraschende
Produkte umsetzen, die etwas über den Gebrauch und den Geist der
Dinge verraten.“
© Schnuppe von Gwinner 2011 - veröffentlicht in der Zeitschrift "Neue Keramik" 1/2012
Labels:
Claydies,
Grass Vasen,
Karen Kjaeldgard-Larsen,
Kopenhagen,
Mega Royal Kopenhagen,
Neue Keramik,
New Ceramics,
Porzellan,
Tine Broksø
Silber Sommer Galerie
"Mit Essen spielt man nicht" hören wir alle noch unsere Mütter sagen!
Dass man damit, ohne den Ruch des desspektierlichen, sehr gut spielen kann beweist ein Projekt mit dem poetischen Namen "Silber Sommer Galerie".
Ulla Mayer, lange Jahre Professorin der Klasse für Gold- und Silberschmieden an der Akademie der bildenden Künste Nürnberg, hatte Anfang 2002 die vorausschauende Idee. Sie stiftete die Studierenden an, ihr Silbergerät aus den Vitrinen ins Leben zu holen und es zur Benutzung frei zu geben. Mit der "Silber Sommer Galerie" auf der Inhorgenta Messe in München kamen die Besucher in den Genuß neue Entwürfe, Unikate und Prototypen der Studierenden nicht nur kennen zu lernen sondern auch auszuprobieren.
Die Aktion "Silber Sommer Galerie" wurde über viele Jahre zu einem erfolgreichen Projekt der Akademie auf der Inhorgenta. Es inszenierte eine Selbstverständlichkeit. Silber- und anderes Gerät der Studierenden konnte hier nicht nur bestaunt, bewundert und auch hinterfragt werden. Es wurde benutzt, erobert und diskutiert. Das Koch Team von El Paradiso aus Nürnberg kreierte sogar eigene Gerichte für die manchmal sonderbaren oder ungewöhnlichen Geräte der Ausstellung.
Die Gerätschaften der "Silber Sommer Galerie" boten, für Gäste wie Aussteller, Inspiration und neue Erfahrungen im Umgang mit Essen, Trinken und dem eigens dafür entwickelten Gerät. Als "Erlebnis Restaurant" der besonderen Art passte die "Silber Sommer Galerie" ideal in den Kontext der Messe. Sie etablierte sich als Treffpunkt für Geschäftsleute, Designer, Künstler und Kunden.
Der Tisch, die Tafel, ist per se der Kommunikatonsort schlechthin. In den meisten Kulturen der Welt wird den gemeinsamen Mahlzeiten ein ganz besonderer, kommunikativer Wert beigemessen. Hier teilt man gemeinsam Themen und Speisen, in angeregter Unterhaltung - am großen Tisch der "Silber Sommer Galerie" bereichert um Erfahrungen mit den innovativen Geräten der jungen Gold- und Silberschmiede. Wahrlich eine perfekte Symbiose, die sicher auch für andere Designmessen gut funktionieren würde.
Im Jahr 2010 übernahm Alessandra Pizzini, frühere Assistentin von Professorin Mayer, das Projekt.
Auch ihr Ziel ist es, dem Publikum zeitgenössisches Tafelgerät näher zu bringen. Die Entwicklung einer neuen Tischkultur zu fördern und, nicht zuletzt, ein Podium für junge Designer und deren innovative Stücke zu schaffen. Sie öffnete die Aktion 2011 auch für Studierende weiterer Hochschulen, weil sie sich dadurch noch mehr fruchtbare Debatte, noch mehr Abwechslung und Inspiration für alle Beteiligten erhoffte. Die Gold- und Silberschmiedeklassen aus Pforzheim, Birmingham und Hildesheim kamen dazu.
Für Alessandra Pizzini steht die Zusammenarbeit und gemeinsame Reflexion mit den Studierenden und Gästen über Ess-Rituale, Handhabung und den gesellschaftlichen Stellenwert von Essen, im Vordergrund des Projektes. Die "Silber Sommer Galerie" bietet ein Forum, das es so kein zweites Mal gibt. Es ermöglicht ebenso überraschende wie wertvolle Erfahrungen. Alessandra Pizzini schildert das besondere Beispiel der "Futterspieße" von Ja Kyung Shin. Diese ganz langen Gabeln ermöglichen, sich gegenseitig aus größerer Entfernung zu füttern – allerdings kann man nicht selbst damit essen! "Es war fantastisch zu beobachten, wie die Dinge plötzlich ganz intim wurden. Was passiert, wenn jemand über den großen Tisch einem anderen eine Olive an den Mund führt? Nimmt er sie an? Vereigert er den Kontakt? Ist es lustig oder eher unangenehm?" Solche Fragen stellen sich nicht an einem normalen Tisch mit üblichen Essgeräten. Aber sie stehen für inspirierend neue Möglichkeiten gemeinsam zu essen und zu kommunizieren. Experimente und Anregungen dieser Art finden sonst eher selten ein öffentliches Forum.
Im Jahr 2012 gastierte das Projekt der "Silber Sommer Galerie" in veränderter Form auf der IHM – Internationalen Handwerksmesse München. Die Studierenden der Metallklassen aus Halle – Burg Giebichenstein, London – Metropolitan University und Düsseldorf – Fachhochschule ergänzten die Gruppe der Aussteller um ein weiteres Mal. Die Aktion auf der IHM nannte sich "walking table", d.h. Ein Tisch wanderte im Sinne eines "pop up events" über die Messe und lud das Publikum ein, mit Exponaten Tee oder Kaffee zu trinken und sich darüber auszutauschen. Ergänzend fand ein Designgespräch mit Simone ten Hompl und Christine Lüdecke statt. Auch hier genossen alle die unkonventionelle und inspirierende Begegnung mit den Geräten der Studierenden.
Nach der "Silber Sommer Galerie" auf der Inhorgenta, wo tafeln und speisen im Mittelpunkt standen – nach der Reise der Dinge beim "Walking Table" der vergangenen Handwerksmesse, plant Alessandra Pizzini für 2013 die "Silber Sommer Galerie" als Ausstellung "Zu Tisch" wieder auf der IHM. Sie wird flankiert von einem Unternehmensforum zum Thema "Unikat und Serie" bzw. "Produkt und Unikat". Da die Zahl der Teilnehmer inzwischen derart angewachsen ist, wird eine Auswahl der Exponate durch die Kuratorin, mit Unterstützung der Galeristin Rosemarie Jäger, vorgenommen. Hierbei soll berücksichtigt werden, welche Themen und Tendenzen an den verschiedenen Hochschulen besonders aktuell sind. Der Kreis der eingeladenen Hochschulen erweiterte sich um die Keramikklasse Halle – Burg Giebichenstein und die Stockholm – Konstfack. Die Veranstalter hoffen ganz besonders auf die aktive Teilnahme der Studierenden, die während der Ausstellung ihre Objekte erklären oder in Performances vorstellen können. Verpflichtend ist für sie die Teilnahme an dem begleitenden Forum, bei dem ausgewiesene Fachleute als Referenten zu den Fragen "Wie schütze ich meine Ideen", "Wie vermarkte ich meine Produkte?", "Wie spreche ich über meine Objekte?" Stellung nehmen werden. Simone ten Hompel, Professorin an der London Metropolitan University, wird in einem Gespräch mit den jungen Designern einige prägnante Stücke betrachten um die Wichtigkeit des schöpferischen Schaffensprozesse zu diskutieren.
Alessandra Pizzinis Organisations- und Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, dass sich die "Silber Sommer Galerie" immer wieder neu erfindet und damit die wohlwollende – und ökonomische – Unterstützung durch die Messeveranstalter bekommt. Als ein lebendiges Ereignis, das zum Thema Tischkultur und Tafelgerät neuen, überraschenden und unkonventionellen Beiträgen ein wertvolles Forum bietet und damit auch die Messe bereichert. Hier kommt inzwischen die europäische Avantgarde zusammen, um sich gemeinsam den Fragen des Publikums, der Fachleute und Kollegen zu stellen und ihre Erkenntnisse daraus zu ziehen.
Der Wunsch nach individuellen Objekten als Ausdruck der unverwechselbaren Identität des Benutzers wird in unserer Gesellschaft immer spürbarer. Die Tafel als Sinnbild für private oder öffentliche Gemeinschaft ist schon immer ein wichtiger Ort der Kommunikation gewesen. Am gedeckten Tisch wird gemeinsam gegessen, geredet, gefeiert und Zusammenhalt gelebt. An diesem Ort werden Utenislien gebraucht, die gleichzeitig Werkzeug und Symbol sind. Mit ihren Vorschägen hinterfragen die jungen Designer alltägliche Gesten und Funktionen, Rituale und Gewohnheiten rund um die Zeremonie des essens und trinkens bei Tisch. Ihre Impulse aus dem Kontext der "Silber Sommer Galerie" sind eine wertvolle Bereicherung für die Messe und ihre Besucher.
Dass man damit, ohne den Ruch des desspektierlichen, sehr gut spielen kann beweist ein Projekt mit dem poetischen Namen "Silber Sommer Galerie".
Ulla Mayer, lange Jahre Professorin der Klasse für Gold- und Silberschmieden an der Akademie der bildenden Künste Nürnberg, hatte Anfang 2002 die vorausschauende Idee. Sie stiftete die Studierenden an, ihr Silbergerät aus den Vitrinen ins Leben zu holen und es zur Benutzung frei zu geben. Mit der "Silber Sommer Galerie" auf der Inhorgenta Messe in München kamen die Besucher in den Genuß neue Entwürfe, Unikate und Prototypen der Studierenden nicht nur kennen zu lernen sondern auch auszuprobieren.
Die Aktion "Silber Sommer Galerie" wurde über viele Jahre zu einem erfolgreichen Projekt der Akademie auf der Inhorgenta. Es inszenierte eine Selbstverständlichkeit. Silber- und anderes Gerät der Studierenden konnte hier nicht nur bestaunt, bewundert und auch hinterfragt werden. Es wurde benutzt, erobert und diskutiert. Das Koch Team von El Paradiso aus Nürnberg kreierte sogar eigene Gerichte für die manchmal sonderbaren oder ungewöhnlichen Geräte der Ausstellung.
Die Gerätschaften der "Silber Sommer Galerie" boten, für Gäste wie Aussteller, Inspiration und neue Erfahrungen im Umgang mit Essen, Trinken und dem eigens dafür entwickelten Gerät. Als "Erlebnis Restaurant" der besonderen Art passte die "Silber Sommer Galerie" ideal in den Kontext der Messe. Sie etablierte sich als Treffpunkt für Geschäftsleute, Designer, Künstler und Kunden.
Der Tisch, die Tafel, ist per se der Kommunikatonsort schlechthin. In den meisten Kulturen der Welt wird den gemeinsamen Mahlzeiten ein ganz besonderer, kommunikativer Wert beigemessen. Hier teilt man gemeinsam Themen und Speisen, in angeregter Unterhaltung - am großen Tisch der "Silber Sommer Galerie" bereichert um Erfahrungen mit den innovativen Geräten der jungen Gold- und Silberschmiede. Wahrlich eine perfekte Symbiose, die sicher auch für andere Designmessen gut funktionieren würde.
Im Jahr 2010 übernahm Alessandra Pizzini, frühere Assistentin von Professorin Mayer, das Projekt.
Auch ihr Ziel ist es, dem Publikum zeitgenössisches Tafelgerät näher zu bringen. Die Entwicklung einer neuen Tischkultur zu fördern und, nicht zuletzt, ein Podium für junge Designer und deren innovative Stücke zu schaffen. Sie öffnete die Aktion 2011 auch für Studierende weiterer Hochschulen, weil sie sich dadurch noch mehr fruchtbare Debatte, noch mehr Abwechslung und Inspiration für alle Beteiligten erhoffte. Die Gold- und Silberschmiedeklassen aus Pforzheim, Birmingham und Hildesheim kamen dazu.
Für Alessandra Pizzini steht die Zusammenarbeit und gemeinsame Reflexion mit den Studierenden und Gästen über Ess-Rituale, Handhabung und den gesellschaftlichen Stellenwert von Essen, im Vordergrund des Projektes. Die "Silber Sommer Galerie" bietet ein Forum, das es so kein zweites Mal gibt. Es ermöglicht ebenso überraschende wie wertvolle Erfahrungen. Alessandra Pizzini schildert das besondere Beispiel der "Futterspieße" von Ja Kyung Shin. Diese ganz langen Gabeln ermöglichen, sich gegenseitig aus größerer Entfernung zu füttern – allerdings kann man nicht selbst damit essen! "Es war fantastisch zu beobachten, wie die Dinge plötzlich ganz intim wurden. Was passiert, wenn jemand über den großen Tisch einem anderen eine Olive an den Mund führt? Nimmt er sie an? Vereigert er den Kontakt? Ist es lustig oder eher unangenehm?" Solche Fragen stellen sich nicht an einem normalen Tisch mit üblichen Essgeräten. Aber sie stehen für inspirierend neue Möglichkeiten gemeinsam zu essen und zu kommunizieren. Experimente und Anregungen dieser Art finden sonst eher selten ein öffentliches Forum.
Im Jahr 2012 gastierte das Projekt der "Silber Sommer Galerie" in veränderter Form auf der IHM – Internationalen Handwerksmesse München. Die Studierenden der Metallklassen aus Halle – Burg Giebichenstein, London – Metropolitan University und Düsseldorf – Fachhochschule ergänzten die Gruppe der Aussteller um ein weiteres Mal. Die Aktion auf der IHM nannte sich "walking table", d.h. Ein Tisch wanderte im Sinne eines "pop up events" über die Messe und lud das Publikum ein, mit Exponaten Tee oder Kaffee zu trinken und sich darüber auszutauschen. Ergänzend fand ein Designgespräch mit Simone ten Hompl und Christine Lüdecke statt. Auch hier genossen alle die unkonventionelle und inspirierende Begegnung mit den Geräten der Studierenden.
Nach der "Silber Sommer Galerie" auf der Inhorgenta, wo tafeln und speisen im Mittelpunkt standen – nach der Reise der Dinge beim "Walking Table" der vergangenen Handwerksmesse, plant Alessandra Pizzini für 2013 die "Silber Sommer Galerie" als Ausstellung "Zu Tisch" wieder auf der IHM. Sie wird flankiert von einem Unternehmensforum zum Thema "Unikat und Serie" bzw. "Produkt und Unikat". Da die Zahl der Teilnehmer inzwischen derart angewachsen ist, wird eine Auswahl der Exponate durch die Kuratorin, mit Unterstützung der Galeristin Rosemarie Jäger, vorgenommen. Hierbei soll berücksichtigt werden, welche Themen und Tendenzen an den verschiedenen Hochschulen besonders aktuell sind. Der Kreis der eingeladenen Hochschulen erweiterte sich um die Keramikklasse Halle – Burg Giebichenstein und die Stockholm – Konstfack. Die Veranstalter hoffen ganz besonders auf die aktive Teilnahme der Studierenden, die während der Ausstellung ihre Objekte erklären oder in Performances vorstellen können. Verpflichtend ist für sie die Teilnahme an dem begleitenden Forum, bei dem ausgewiesene Fachleute als Referenten zu den Fragen "Wie schütze ich meine Ideen", "Wie vermarkte ich meine Produkte?", "Wie spreche ich über meine Objekte?" Stellung nehmen werden. Simone ten Hompel, Professorin an der London Metropolitan University, wird in einem Gespräch mit den jungen Designern einige prägnante Stücke betrachten um die Wichtigkeit des schöpferischen Schaffensprozesse zu diskutieren.
Alessandra Pizzinis Organisations- und Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, dass sich die "Silber Sommer Galerie" immer wieder neu erfindet und damit die wohlwollende – und ökonomische – Unterstützung durch die Messeveranstalter bekommt. Als ein lebendiges Ereignis, das zum Thema Tischkultur und Tafelgerät neuen, überraschenden und unkonventionellen Beiträgen ein wertvolles Forum bietet und damit auch die Messe bereichert. Hier kommt inzwischen die europäische Avantgarde zusammen, um sich gemeinsam den Fragen des Publikums, der Fachleute und Kollegen zu stellen und ihre Erkenntnisse daraus zu ziehen.
Der Wunsch nach individuellen Objekten als Ausdruck der unverwechselbaren Identität des Benutzers wird in unserer Gesellschaft immer spürbarer. Die Tafel als Sinnbild für private oder öffentliche Gemeinschaft ist schon immer ein wichtiger Ort der Kommunikation gewesen. Am gedeckten Tisch wird gemeinsam gegessen, geredet, gefeiert und Zusammenhalt gelebt. An diesem Ort werden Utenislien gebraucht, die gleichzeitig Werkzeug und Symbol sind. Mit ihren Vorschägen hinterfragen die jungen Designer alltägliche Gesten und Funktionen, Rituale und Gewohnheiten rund um die Zeremonie des essens und trinkens bei Tisch. Ihre Impulse aus dem Kontext der "Silber Sommer Galerie" sind eine wertvolle Bereicherung für die Messe und ihre Besucher.
© Schnuppe von Gwinner 2012 - veröffentlicht in der Zeitschrift Kunsthandwerk & Design 1/2013
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die gedeckte Tafel,
Gerät,
IHM,
Inhorgenta,
Internationale Handwerksmesse München,
Kunsthandwerk & Design,
Silber,
Silber Sommer Galerie
The Toymaker - Robert Race
Robert Race ist der Typ, den sich jedes Kind von ganzem Herzen zum
Großvater wünschen würde. Ein stiller, freundlicher Mann, der kein
Wort zu viel sagt und doch voller Überraschungen steckt. Aber er
berichtet gerne aus seinem reichen Leben als "toymaker",
als Spielzeugmacher, wie es auch in seinem Pass steht. Sein
Leben wechselt zwischen Phasen introvertierter Tüftelei und Kreation
und Phasen intensiver Öffentlichkeit, in der ihm seine vielen
Bewunderer mit intensiver Neugier und Emotionen begegnen. Beides
geniesst er sichtlich, meistens mit einem veschmitzten Lächeln. Als
ich ihn vor vielen Jahren kennen lernte verkörperte er für mich
sofort das alte Sprichwort "stille Wasser sind tief". Er
selbst würde sich nicht als humorvoll bezeichnen, eher als vergnügt
und unbeschwert. Er liebt es Geschichten zu erzählen und mit
schrägen Ideen zu verblüffen. Und er hofft natürlich, die Menschen
mit ihrem Witz bezaubern.
Im
engen Strassengewirr der englischen Kleinstadt Bradford on Avon steht
das uralte, graue Steinhaus, das er seit Jahrzehnten mit seiner
Frau Thalia bewohnt. Es steht dort schon viele hundert Jahre,
nach aussen trutzig und wehrhaft. Doch das Innere offenbart sich als
beredter Lebensraum seiner Bewohner. Die Wände des Wohnzimmers sind
hinter Bücherregalen verborgen, in denen es sich nicht nur Bücher
sondern auch jede Menge Spielzeug und kleine Kunstwerke gemütlich
gemacht haben. Die Möbel, so berichtet Robert Race stolz, habe alle
sein Vater entworfen. Nach dem Krieg. Für die ersten Prototypen
wurden Anfang der 50er Jahre die notwendigen Metallteile aus alten
Waffen recycelt. Der Einfluss des Designer-Vaters auf den Sohn
kamjedoch erst spät zum tragen. Der Onkel hatte als Wissenschaftler
mehr Einfluss auf den jungen Robert, der in seinem Arbeitsleben eine
wissenschaftliche Karriere als Lehrer und Schulleiter machte.
Schon
in den 80ger Jahren widmete sich Robert mehr und mehr
seiner Spielzeug-leidenschaft. Er bereiste Mexiko, Japan, Indien und
Indonesien. Dort faszinierten ihn die Spielzeugbauer die, oft an den
Strassen sitzend, aus einfachsten Materialien und mit bescheidenen
Mitteln faszinierende Spielzeuge herstellen. Die Entdeckung dieser
Künstler begründete sein tiefes Interesse und, vor allem, seine
Sammlung an Spielzeugen aus aller Welt, die ihresgleichen sucht.
Robert stieg immer mehr in das Thema ein. Er baute erst "nur"
kleine Objekte für die gut etablierte englische "Dollhouse"
(Puppenhaus) Szene. Fast in jedem englischen Dorf gibt es einen Laden
für Puppenstuben und Zubehör, die unter anderem auch von lokalen
Bastlern beliefert werden, sodass man überall sehr individuelle
Dinge für sein Puppenhaus finden kann. Das ganze Thema ist
unter Sammlern in England bis heute extrem populär.
Doch
Robert suchte nach mehr. Ihm entgingen auch nicht die Entwicklungen
um das Cabaret Mechanical Theatre, das Ende der 80ger Jahre von
Fallmouth in einen kleinen Showroom in Covent Garden nach London
umzog. Es etablierte sich eine "Automata maker" Szene
um Sue Jackson, Peter Markey und Paul Spooner, die eine immer
größere Anhängerschaft und immer mehr Automata maker für
sich gewann. Robert Race sagt, dass er relativ spät etwas davon
mitbekommen habe, doch das Thema "mechanisches
Künstlerspielzeug" habe offenbar in der Luft gelegen. Ein
Glück, denn so entstanden auch für ihn ideale Bedingungen seine
Objekte auszustellen und zu verkaufen. Andererseits war er immer ein
Aussenseiter dieser Szene, weil seine Spielobjekte so besonders und
anders als die der anderen waren und sind. Die kleine Bewegung ist
der Schlüssel zu seinen Arbeiten. Formal haben sie als Figuren und
Objekte schon eine Ausstrahlung - doch erst die Bewegung erweckt sie
zum Leben und vermittelt ihr einzigartiges Wesen.
Wenn
man sagt, man fährt ans Meer, dann hofft man auf einen schönen
Ferientag. Für Robert Race bedeutet ein Ausflug an den Strand harte
Arbeit. Ein paar Mal im Jahr fährt er, vor allem wenn es gerade
einen schönen Sturm gegeben hat, an die Küste und sammelt Material.
Treibgut, Treibholz, Steine mit Loch und Muscheln, lauter Schätze,
die er oft Kilometer weit über den Kieselstrand schleppen muss.
Dieser Tag am Strand, so sagt er, ist gleichzeitig sehr inspirierend
und körperlich anstrengend. Nichts wird dort festgelegt, alles ist
offen. Erst wenn er seine Beute zuhause in das kleine
Hinterhaus-Lager einräumt, sortiert er das Gefundene nach möglichen
Optionen. Ein lange liegen gebliebenes Stück kann durch einen
Neuzugang durchaus die Berufung zu einem Meisterwerk bekommen, ein
anderes plötzlich in völlig neuem Zusammenhang gesehen werden.
"Keep
it simple" ist ein Leitspruch von Robert. Seine Werke leben mit
dem Echo der voraus gegangenen Leben ihres Materials. Seine Wesen
interpretieren angebotenen Formen neu und oftmals geradezu anrührend.
An einem "Muttering Bird" ist genau genommen nicht viel
dran, doch mit klappenderndem Schnabel erzählt er uns unendlich viel
von der Welt. Und so geht es auch mit den anderen Wesen, den
schwebenden und hüpfenden Vögeln, den nimmermüde kreisenden
Insekten, den treu blickenden "ruminants", den
Wiederkäuern, und den emsigen Kanuten und Indianern, die nicht müde
werden Vögel, Kaninchen und Katzen in ihrer "hölzern' Wurzel"
über imaginäre Wasser zu schippern.
Robert
kann es aber auch ironischer, wenn er ein "rowing couple"
(ruderndes Paar) in einem Boot gegeneinander antreten lässt. Fein
beobachtet! Objekte wie "talking birds" oder "
watching girls passing by" verraten, dass Robert keineswegs ein
weltfremder Träumer ist. Er ist ein feiner Beobachter, der mit mit
einer kleinen, simplen Bewegung zaubert. Wer je die Gesichter der
Menschen beobachten durfte, die sich seinen Figuren nähern wird
verstehen: dieses Lächeln und Erstaunen beinhaltet auch immer ein
Erkennen. So einfach ist das! Der "balancing bird" schwebt
an einer gebogenen Fahrradspeiche um seinen zerklüfteten
Treibholzfelsen: eine kleine Brise, ein Pusten, ein Luftzug setzt ihn
- und unsere Emotionen - in Bewegung. Eine kleine Holzkurbel
oder ein Pendel - mehr braucht Robert Race nicht um aus einem
Stöckchen, zwei Federn, einem Stück Draht, und vielleicht einer
kleinen Muschel, ein ganzes Universum an Assoziationen und Gefühlen
entstehen zu lassen und uns damit in seinen Bann zu ziehen.
Als
seine Kinder aus dem Haus waren baute er die "Seaside Machine"
– ein sensationelles Ungetüm, das von den Badewagen inspiriert
wurde, wie sie vor über hundert Jahren an den Meeresstränden üblich
waren. Also ist es völlig klar, dass man in der „Seaside Machine“
eine gut sortierte Bibliothek leichter Ferienliteratur und
Liegestühle findet, aber auch Musik und ein Puppentheater,
verschiedene Windspiele, kleine Schübe und Vitrinen für die
Fundstücke die man ja immer am Strand findet – und jede Menge
kleiner und erstaunlicher Überraschungen. Diese
Donnerwetter-Maschine brauchte einen Platz und so gab die Familie
Race kurzerhand ihr Esszimmer auf und ließ sie dort einziehen. Auch
der größte Teil der Spielzeug-Sammlung hat dort in
respeteinflössenden Archivschränken eine Heimat gefunden. Nur wenn
die Großfamilie zusammen kommt muss die Maschine im Garten stehen –
sonst wird in der Küche gegessen.
Überall
im Haus stehen und hängen Spiel- und Spassobjekte, die man beim
Zähne putzen ebenso bewundern kann wie vor dem einschlafen, auch
wenn man sich da eher auf die Schäfchenzählmaschine über dem
Gästebett konzentrieren muss.
Über
all dem schwebt ganz oben unter dem Dach das Himmelreich von Rober
Race: seine Werkstatt und Sachensammlung. Hier oben, mit einem weiten
Blick über die alte kleine Stadt, spinnt Robert seine Geschichten
und überträgt sie in zauberhafte Objekte. Mit grenzenloser Fantasie
und viel Geduld entwickelt er dort die Szenerien, Figuren und Wesen,
die durch einen kleinen Stups, einen subtilen Dreh oder leises Pusten
für einen kurzen magischen Moment zum Leben erwachen und uns glauben
machen wollen, dass echtes Leben in ihnen steckt.
© Schnuppe von Gwinner 2012 - veröffentlicht in der Zeitschrift Handmade Kultur 1/2013 Januar - März 2013
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Wie ein Faden fällt - Rosa Dames
-->
Tonlos. Weich. Flexibel. In einer
unvorhersehbaren Form landend. Gerade. Als Bogen. Als Schnörkel.
Leise und überraschend. Ein Nichts an Bedeutung das alles
beinhaltet. "Wie ein Faden fällt“ nennt die Textilkünstlerin
Rosa Dames ihr Werk aus dem Jahr 2011. Minimalistisch, graphisch
bezaubernd, ein "Apercu" - ein Assoziationsblitz – so liebevoll
und akribisch festgehalten. Ungeordnetes in Ordnung, in die Reihe
gebracht. Damit die Botschaft vom Zufall, von der Kostbarkeit des
Details lesbar wird.
"Anlässlich der 5.Europäischen
Quilt-Triennale 2012 wird der von der Unternehmensgruppe Betty
Barclay erneut ausgelobte Doris Winter Gedächtnis-Preis für
Innovation im Bereich Material, Technik und Entwurf in Höhe von €
5.000,- der deutschen Künstlerin Rosa Dames - bei der früheren
deutschen Quilt-Biennale bereits mehrmals vertreten – für ihre
Arbeit „Wie ein Faden fällt“ zuerkannt." (Pressetext)
Das kam leise und überraschend,
passend zu Rosa Dames, die sich natürlich sehr darüber freut. Seit
30 Jahren ist ihre leise, beharrliche Stimme in der deutschen
Textilkunst nicht zu überhören. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf
Details, die uns auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen. Doch
in ihren Werken erfahren sie eine Interpretation, deren Fürsorge und
Fragestellung berührt. Metaphorisch wirken diese, durch entdeckte
oder provozierte Zufälle und Gestaltungskonzepte geschaffenen
Textilbilder. In der Handarbeit, im Nähen von Stichen, führt Rosa
Dames ein Zwiegespräch mit dem entstehend Werk.
Ganz am Anfang, 1984 entsteht "Elses
Nachtlied". Auf einem schwarzen Wollstoff geht Rosa Dames hin und
her und dokumentiert ihren eigenen Bewegungsablauf wie die
märchenhaften Geschwister Hänsel und Gretel mit Kieselsteinen und
Brotkrumen im dunklen Wald. Sie lässt ein gefundenes, besticktes
Satin- und andere Bänder Spuren legen. Ariadne's Faden kommt uns in
den Sinn, wenn wir den Spuren des entstandenen Linienlabyrinthes
folgen. Wege durch einen nächtliche Stadt, über helle Plätze und
dunkle Strassen. "Ach Else, sing mir ein Lied" - Singen vertreibt
die Angst in der Dunkelheit, auf unbekannten Wegen.
In der "Glienicker Verlobung" von
1985 inspirieren die grünen Teile des Verlobungskleides von Rosa
Dames den Titel, dessen romantischer Bezug den Betrachter erstmal in
die Irre führt. Die geblümten Stoffe wird er ohne Vorkenntnisse
immer zuerst als Verlobungskleid interpretieren. Das schwebende
Tüchlein, in das vielleicht erste Tränen der Rührung verdrückt
wurden, und all die anderen chaotisch zueinander stehenden Flächen,
die das Chaos der Gefühle symbolisieren könnten.
Das alles wird mit präsisen,
strukturbildenden Steppstichen zusammengehalten. Eine Form ist nicht
auszumachen. Doch die feine Näharbeit in diesem Werk erscheint mir
synonym mit dem so genannten "weiblichen Hausfleiss". Das formale - gefühlsmässige - Chaos wird von der feinen Handarbeit
gebändigt, so wie die bürgerlichen Spielregeln das Verloben und
Verheiraten dem unstrukturierten "verliebt sein" bannen und in
konforme Bahnen lenken.
Idee und Konzept des klassischen,
nordamerikanische Patchworkquilts schwappte in den frühen achtziger
Jahren als neueste Handarbeitsmode über den Atlantik und wurde für
viele Textilkünstlerinnen Ausgangspunkt zur Entdeckung der eigenen
Kreativität.
Rosa Dames wurde Teil und Ausnahme
dieser Bewegung. Im Patchwork interessieren sie vor allem Prinzipien
der Reihung und ihrer Verschiebungen, Unordnung innerhalb von
Ordnung, Ruhe und Bewegung. Ihr Hauptwerk in diesem Zusammenhang
wurde von den vielen Bauarbeiten zur Vorbereitung des 750sten
Stadtjubiläum von Berlin, und die damit verbundene Allgegenwart von
rot-weissen Absperrungen, Baken und Flatterband inspiriert. Sie nennt
sie „B-749 hebt ab“ (1986) und "Mobile Reihen" (1987).
Konzentriert auf Rot und Weiss spürt die Künstlerin den graphischen
Bewegungen unregelmäßiger Rechtecke bzw. Rauten nach. Neben der
technischen Meisterschaft in der Ausführung fasziniert die
Lebendigkeit der Flächen: Bewegtes Raster oder Klötzertürme,
flächig oder in die Tiefe gestaffelt, schwebend oder wachsend, kurz
vor dem Einsturz oder wie von einer Explosion versprengt. Jeder Blick
offenbart Neuigkeiten, nichts bleibt wie es ist. Reduziert auf
minimale formale Mittel, völlig konzentriert auf die Umsetzung der
Idee, entstanden hier wirkliche Meisterwerke.
Ihre jüngste Arbeit "Exerzitium der
Stiche"- seit 2010 - knüpft an diesen methodischen Minimalismus
an. Bisher entstanden 63 Farbfelder (work in progress) für die Rosa
Dames auf 20 x 20 cm große Leinenquadrate überwendliche Stiche aus
farbiger Knopflochseide aneinanderreiht. Jedes Quadrat entsteht in
neuer Farb- und Flächenaufteilung. In immer neuen Zusammenstellungen
können diese Teile zu einem vibrierenden Farbfeld zusammengelegt
werden. Anlässlich einer gemeinsamen Päsentation mit der
österreicherischen Dichterin Veronika Seiringer in Helfenberg
entstand eine schönes Buch das Gedichte und die Abbildungen der
genähten Farbfelder zusammen führt. Rosa Dames beschreibt dort die
bewegende Geschichte zu dieser Arbeit, die sie zur Erinnerung an ihre
eigene Lehrzeit „und das geduldige Einüben des sogenannten
überwendlichen Stiches“ verfolgt. Sie widmet sie als „Exerzitium
der Stiche“ den vielen Näherinnen und fleissigen Händen in den
Schneiderateliers der blühenden Berliner Modeindustrie der 50ger
Jahre und der „Berliner Nähseidenfabrik“ WERA.
Die Kraft der Arbeiten von Rosa Dames
liegt darin, dass sie eine sehr eigenständige und wirkungsvolle,
künstlerische Sprache gefunden hat, um das Phänomen der Bedeutung
des Kleinen für das große Ganze sichtbar zu machen. Natürlich
wissen wir, dass jeder Tropfen Wasser zählt wenn es darum geht das
große Meer zu betrachten. Jedes Blatt für einen Baum, jedes
Sandkorn für die Wüste, jeder Stein für ein Haus. Das sind ja
Allgemeinplätze. Doch bei Rosa Dames sind es eben keine
Allgemeinplätze. Sie schöpft aus ihrem textilen Hintergrund und
erkennt dort den Kontext von Materialästhetik und Bedeutung. Ihre
Konzepte vermitteln einen Zusammenhang zwischen Zufall und Struktur,
der uns überhaupt erst erkennen lässt "wie ein Faden fällt".
© Schnuppe von Gwinner, Mai/Juli 2012 als Katalogbeitrag für ein Werkverzeichnis von Rosa Dames (erhältlich über die Künstlerin) und in der gekürzten Fassung erschienen in der Zeitschrift Kunsthandwerk & Design 5/2012
Der Katalog "Elses Nachtlied" mit diesem Text sowie schönen Abbildungen von Quilts und Materialbildern der Künstlerin Rosa Dames erschien im Juli 2013
- erhältlich über rosa.dames (at) gmx.de
- erhältlich über rosa.dames (at) gmx.de
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Quiltbiennale,
Rosa Dames,
Textilkunst,
Textilmuseum Max Berk Heidelberg
Porzellan - Barbara Hast
Zeit still stehen lassen. Zaghaft
berühren. Ungläubig bestaunen.
Die feinen Prozellandinge von Barbara Hast sind nur so zu erfassen. Ihre Anwesenheit ist schimmernd
Naturweiss, etwas heller als Elfenbein, etwas dichter als Eierschale.
Durch und durch künstlich und kostbar sind sie als Metamorphosen
natürlich gewachsener Früchte und Pflanzen, die diese eigensinnigen
Kreationen aus weissem Gold vage inspirierten. In aller
Bescheidenheit zitieren sie die opulente Naturliebe des 17.
Jahrhunderts und erinnern an exotische Kuriositäten barocker
Schatzkammern. Ihre Gegenwart wird von Reminiszenzen getragen, die
nicht eindeutig definierbar, aber doch assoziativ zu erahnen sind.
Die Objekte von Barbara Hast strecken ihre unsichtbaren Wurzeln und
Fühler in alle Richtungen von Zeit und Geschichte um ihre
faszinierende Präsenz im hier und jetzt zu entfalten.
Barbara Hast formuliert in ihrem Werk
eine permanente Hommage an die Feinsinnigkeit der natürlichen
Schöpfung. Die Zeit mit inbegriffen, denn sie nimmt davon so viel
wie sie braucht, um aus dem Porzellan die Gefässformen zu drehen und
zu gestalten: im klassischen Formenrepertoire von Dose, Becher, Kanne
oder frei und schöpferisch eigenen Fantastereien folgend, oder
beides zu zusgleich.
Nur wenige Zentimeter hoch sind kleine
Dosen mit geraden oder kugeligen Wänden und akkuratem Deckel. So
genannte „Prinzessinendosen“ schaffen daneben mindestens das
doppelte Volumen und die doppelte Höhe. Sie haben geschwungene
„Hüften“ und dicke Bäuche wie ihre Vorfahren im Barock. Ihre
gegenwärtigen großen Schwestern aus der Hand von Barbara Hast sind
wie makellose Kürbissfrüchte gewachsen, deren Mitte durch die
mäandernde Linie des Deckelrandes geteilt wird. Alle Dosendeckel lüpft man an einem
rafiniert geschnitzten Knauf, der wie eine stilisierte Knospe oder
Frucht ausgebildet ist.
Eine geradezu märchenhafte Atmosphäre
schaffen die Teekannen von Barbara Hast, meistens in Begleitung
zarter, dickbäuchiger Schälchen die auf ein bis mehreren Beinchen
oder Tentakeln daher kommen, wie die Kannen selbst auch. Man fühlt
sich in das Teehaus inmitten eines verwunschenen Parks versetzt, oder
auch zu Gast bei Märzhasen, Schuhmacher und Haselmaus. Charaktervoll
und wesenhaft bevölkern die Kannen mit ihrem Gefolge den Tisch. Fast
hört man sie wispern und flüstern als wären sie aus einer
misterösen Geschichte in die reale Welt geraten. Schon seit vielen
Jahren schickt Barbara Hast auch eine Parade vielfältiger Becher
hinaus in die Welt, die in Form und Ausdruck davon erzählen, wie
spannend es ist, ihre gemusterten Bäuche zu umfassen und ein warmes
Getränk daraus zu schlürfen oder einen kleinen Feldblumenstrauss
darin zurecht zu zupfen. Die Gesellschaft all dieser
aufmerksamen Prozellane erinnert an die Kostbarkeit von Zeit und
schönen Momenten.
Für eine andere Serie scheint Barbara
Hast Unterwasserwelt-Fantasien vor Augen gehabt zu haben. Abstrakte
Seeannemonen, Korallengebilde und Muschelgehäuse sind Vorbild für
Objekte, die nur mehr Augenschmaus sein möchten und keinerlei
Nutzung nahe legen. An ihnen lebt Barbara Hast ihrer ganze
Detailverliebtheit mit unbändiger Gestaltungsfreude aus. Hinzu kommt
das Moment erstarrter Bewegung, das Wogende eines fiktiven
Wasserstroms, das dynamische Aufspritzen einer Flüssigkeit, das sie
geradezu magisch festhält für diesen Moment, einen Atemzug und die
Ewigkeit.
Monochrome Reliefmalerei bekleidet mit
seinem raffinierten Schattenspiel die Flächen der Porzellane von
Barbara Hast. Mal im Stil der Renaissance, mal dekorativ
folkloristisch, mal als Schneegestöber einer Tupfenstruktur. Die
Muster werden mit auf sorgfältig abgemixten Porzellanschlicker und
ruhigster Hand aufgetragen. Reine Meditation, die viel Raum für
Gedankenspaziergänge lässt. So gibt eins das andere, wird als Idee
geboren, entwickelt und umgesetzt, um dann wieder selbst zum
Ausgangspunkt für die nächste Schöpfung zu werden, im ständigen
Strom der Assziationen.
Barbara Hast ist selbst ganz und gar
ein Unikat unter den Keramikern. Sie gehört keiner Schule an, sie
verfolgt keine bestimmte Stilrichtung sondern verfolgt ihren ganz
eigenen Weg in ihrem ganz eigenen Tempo. Nach einer Keramiklehre bei
Regina Fleischhut in Bederkesa arbeitete sie zehn Jahre lang in
verschiedenen Werkstätten und machte sich 1996 in Neuendorf/
Schleswig Holstein selbständig. Auf den regionalen Töpfermärkten
zeigte sie ihre Steinzeuggeschirre, deren historisierende Poesie
schon im Ansatz darauf verwies, was noch kommen sollte.
Ich werde nie vergessen, wie ich auf
einem verregneten Sommermarkt in Kellinghusen das erste Mal wenigen
Porzellanbechern und Barbara Hast selbst begegnete. Sofort war ich
von dieser zurückhaltenden Person und ihren so liebevoll gemachten
Objekten eingenommen und wollte mehr, mehr, mehr. Doch Barbara
steckte damals noch tief in der Experimentierphase mit dem Porzellan
und war eher beunruhigt, über den Erfolg ihrer ersten Versuche. Sie
brauchte Zeit. 2004 wurde sie in die Gedok Hamburg aufgenommen, das
mit dem Porzellan klappte inzwischen hervorragend.
Ihre Erfindung der poetischen
Glöckchendosen, aus zart eingefärbter Porzelanmasse gedreht, aussen
UND innen gleichermaßen sorgsam dekoriert, läuteten ihren Erfolg
ein. Von hier aus wuchsen ihre eigenen Ansprüche an ihre Werke und
ihr Aktionsradius. In der ihr eigenen Bescheidenheit und
Entschlossenheit verfolgt sie konsequent und eigenwillig ihren Weg.
Keiner wird sie jeh zur Eile antreiben oder gar etwas vorgeben
können. Sie läßt jede Idee reifen, realisert ihre Geschöpfe mit
ihrem eigenen Sinn für Perfektion und Vollkommenheit. Sie bewahrt
darin das ganze Geheimis der Magie, die ihre Werke ausstrahlen.
Anachronistisch in unserer Gegenwart, in der Zeit Geld ist und Masse
statt Klasse dominiert. Barbara Hast vermag mit ihrer anderen
Zeitrechnung und ihrem eigenen Qualitätsanspruch alle anderen zu
verzaubern. Ihre Objekte machen auf bewundernswert subtile Art den
wesentlichen Unterschied deutlich.
© Schnuppe von Gwinner 2012 - veröffentlicht in der Zeitschrift Kunsthandwerk & Design 04/2012
Labels:
Barbara Hast,
Gedok Hamburg,
Glöckchendose,
Keramik,
Kunsthandwerk & Design,
Porzellan,
Sammlerstücke,
Teekanne,
Unikate
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